Grappas Gespuer Fuer Schnee
Mobby Madig mit rotem Schlips und erhobenem Zeigefinger vor einem Mikrofon. Es schien niemanden zu stören, dass Madig im Knast schmorte. Seine Partei stellte ihn weiter aus.
Neben dem Bild war eine Tafel mit den güldenen Worten des großen Vorsitzenden angebracht:
Die Bierstädter Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind sich sowohl der Tradition als auch der Zukunftschancen unserer Stadt bewusst. Wir wissen, wodurch sich unsere Stadt ihre Stärke und Ausstrahlungskraft bewahrt hat. Gerade deshalb setzen wir uns mit viel Engagement für die Entwicklung des ›neuen Bierstadt‹ ein, damit die Bürgerinnen und Bürger eine gesicherte und zukunftsfähige Zukunft haben.
Na ja, dachte ich, auf die Wortkombination zukunftsfähige Zukunft muss man erst mal kommen.
Ich drückte die Tür auf und stand in einem Flur. Überall hingen Wahlplakate von Kandidaten, die inzwischen ihr Mandat in Bezirksvertretungen, Räten, im Landtag, im Bundestag und im Europaparlament absaßen. Auf einer Hinweistafel standen die Namen der Mitarbeiter und ihre Raumnummern. Ganz auf dem neuesten Stand waren die Genossen nicht – ich entdeckte auch noch den Namen von Sandra Becker. Sie war zuletzt für die Mitgliederbetreuung zuständig gewesen.
Das ist doch ein Anfang, dachte ich. Mal sehen, wer sich inzwischen um die Sorgen und Nöte der Parteisoldaten kümmert. Entschlossen nahm ich den Aufzug in die zweite Etage.
Wenigstens neben der Tür hatte man Sandra Beckers Namen entfernt. Ich klopfte und ein »Herein« ertönte. Ein junger Mann saß hinter einem Schreibtisch, die Beine auf den Tisch gelegt. Im Regal hinter ihm stapelten sich Flugblätter, SPD-Fähnchen, Luftballons und weitere rote Devotionalien. Er war um die dreißig, korrekt gekleidet, etwas dicklich und sah aus wie ein zu groß geratener und verjüngter Danny De Vito.
»Guten Tag«, sagte ich. »Kann man hier Mitglied werden?«
»Grundsätzlich schon.« Er nahm die Beine vom Tisch und musterte mich unverhohlen.
»Komisch«, sagte er dann. »Die letzten zwei Wochen hatte ich nur Austritte zu bearbeiten. Und nun das!«
»Solidarität mit einer Partei in schlechten Zeiten«, lächelte ich. »Ich hätte dann gern mal das aktuelle Parteiprogramm und ein Beitrittsformular.«
»Ist klar.« Er erhob sich tatsächlich, schlenderte zum Regal und kramte.
»Sie sind neu, oder?«, fragte ich. »Ihre Vorgängerin ist ja tot. Stand groß in den Zeitungen.«
»Ich arbeite hier nur als studentische Hilfskraft. Zwei Stunden am Tag. Und die sind gleich um.« Er reichte mir die Papiere.
»Dann haben wir mal miteinander telefoniert«, sagte ich. »Als ich Herrn Madig suchte. Er war an dem Tag auf der Klausur im Goldsaal.«
»Ich weiß, Frau Grappa.«
Ich starrte ihn an. »Sie haben sich meinen Namen gemerkt?«
»Der ist ja nicht schwer zu behalten. Und Sie wollen nun wirklich der SPD beitreten?«
»Nein«, gab ich zu. »Ich wollte mich in diesem Haus umsehen. Immerhin ist die Mordwaffe in der Parteizentrale entdeckt worden. Wie heißen Sie eigentlich?«
»Gestatten: Elberberg.« Er schlug die Hacken zusammen.
Ich reichte ihm die Hand. »Angenehm.« Sein Griff war fest, die Augen klar.
»Können Sie mir die Stelle zeigen, wo das Gewehr gefunden wurde?«
»Die Polizei hat alles auf den Kopf gestellt«, entgegnete er. »Alle Spuren sind gesichert. Was hoffen Sie noch zu finden?«
»Keine Ahnung«, gab ich zu. »Aber vielleicht bekomme ich ja eine Inspiration.«
»Das Gewehr lag im Putzschrank in der Besenkammer. Bestimmt der richtige Ort für eine Eingebung. Kommen Sie.«
Ich folgte ihm in die dritte Etage. Auf dem Flur mussten wir über verstaubte Kartons steigen, die wohl seit Jahren dort vor sich hin gammelten. Werbematerial für eine Partei, die regelmäßig zu großzügig disponierte.
Elberberg schüttelte den Kopf. »Den Kram hier räumt niemand auf. Nicht mal die Spusi.«
Ich musste grinsen.
»So.« Er öffnete die Tür zu einer Kammer. »Das Gewehr stand rechts hinten in der Ecke, Kolben auf dem Fußboden, Mündung nach oben. Hinter dem Besen und dem Schrubber.« Er lehnte sich lässig an die Wand. »Und jetzt lassen Sie sich mal inspirieren«, grinste er. »Darf ich zuschauen?«
»Sie sind ganz schön frech«, konstatierte ich. »Was studieren Sie eigentlich?«
»Jura.«
»Haben Sie Sandra Becker gekannt?«
»Nein. Ich hab nur von ihr gehört. Sie hatte schon gekündigt, als ich anfing. Kann ich die Tür wieder schließen?«
»Klar. Es riecht ein bisschen
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