Grappas Gespuer Fuer Schnee
hielt alles, was ich wusste, auf einem Blatt Papier fest. Ich blieb bei meiner These, dass der Anrufer tatsächlich der Mörder war. Ich musste nur noch das Motiv finden. Und den Kerl ausfindig machen. Und seinen Komplizen.
Einer von beiden hatte die Tatwaffe ins Parteibüro geschmuggelt. Damit hatte er Madig geschadet. Kamen die Doppelmörder aus der Ecke der Madig-Feinde?
Was wusste ich noch? Mindestens einer der Täter hatte die Möglichkeit, von der Universität aus zu agieren. Die Mail an mich war von dort gekommen. Der Absender konnte sich also unter die Studenten mischen, ohne Verdacht zu erregen. Ich stutzte. Hatte sich die Stimme am Telefon eher jung oder alt angehört? Instinktiv ordnete ich sie einem eher jüngeren Mann zu. Doch Stimmen konnten täuschen. Ich kannte Menschen mit jungen Stimmen, die trotzdem alt waren, und umgekehrt.
Ich schaute auf die Uhr. Kurz vor 23 Uhr. Gleich würden die Internetseiten des Bierstädter Tageblattes aktualisiert werden – mit meinem Artikel als Aufmacher.
Ein Becher starker Kaffee hielt mich wach. Vielleicht meldete sich der Mörder schon in dieser Nacht. Ich legte mein Handy in Reichweite und öffnete meinen E-Mail-Account. Nur Spams von Fluglinien, Reisebüros und Viagrahändlern.
Eine Minute nach elf erschien der Aufruf an der Mörder auf dem Monitor. Eine halbe Stunde später klingelte mein Handy. Nummer unbekannt – erzählte mir das Display. Ich ging dran.
»Hier Grappa.«
»Bist du verrückt geworden?«, fuhr mich Friedemann Kleist an. »Du lockst den Mörder auf deine Fährte, Maria!«
»Ach, du bist es«, sagte ich enttäuscht. »Kannst du aus der Leitung gehen, damit mich der Kerl anrufen kann?«
»Was hast du dir nur dabei gedacht? Willst du mir in meine Arbeit pfuschen?«
»Wieso? Du hältst doch Mobby Madig für den Täter«, entgegnete ich.
»Ich ermittle in viele Richtungen. Glaubst du, ich habe vergessen, dass der Film die Anwesenheit eines zweiten Manns beweist?«
»Wunderbar. Ich sage dir auf jeden Fall Bescheid, falls sich der Täter bei mir meldet, oder liefere ihn direkt bei dir im Präsidium ab. Soll ich ihn verpacken?«
Eine E-Mail kann ein Wegweiser sein
In der restlichen Nacht blieben die Telefone stumm. Kleists Befürchtungen ließen mich nicht gut schlafen. Gegen acht Uhr wachte ich auf und stellte fest, dass ich noch lebte – aber auch, dass mein Aufruf unbeantwortet geblieben war.
Ach, der Tag ist ja noch jung, dachte ich und machte mich ausgehfertig. Gegen zehn war ich in der Redaktion und stürzte sofort in mein Büro. Ja, endlich! Die Mail, auf die ich gewartet hatte, war da. Absender: weddingplanner.
Die Nachricht enthielt nur zwei Worte: Marta Russo.
War das ein Name? Vielleicht ein Cocktail? Oder ein Schiff? Googeln hilft. Also gab ich die Begriffe in die Suchmaschine ein.
Marta Russo war eine italienische Jurastudentin. Ihre Ermordung im Jahre 1997 und die darauf folgenden Ermittlungen erregten internationales Aufsehen. Die Tat konnte bis heute nicht restlos aufgeklärt werden. Als die 22-jährige Russo am Freitag, dem 9. Mai 1997 gemeinsam mit einer Freundin den Hof der juristischen Fakultät der Universität Rom überquerte, brach sie plötzlich zusammen. Eine Kugel vom Kaliber .22 hatte sie in die Schläfe getroffen. Russo fiel zunächst ins Koma und erlag vier Tage später ihren Verletzungen. Die Polizei forschte vor allem im Umfeld der Fakultät. Nach Wochen vergeblicher Ermittlungen gaben zwei Studenten der Fakultät einen Hinweis. Die als ehrgeizig geltenden Dozenten der Rechtsphilosophie Giovanni Scattone (30) und Salvatore Ferraro (31) hatten während eines Seminars einige Wochen vor der Tat die These vertreten, dass ein perfekter Mord möglich sei. Scattone soll das Seminar mit folgenden Worten eröffnet haben: »Es ist unmöglich, einen Mord aufzuklären, wenn der Täter kein Motiv hat und die Tatwaffe nicht gefunden wird.« Kein Mordfall beschäftigte die Öffentlichkeit so nachhaltig wie dieser ›Universitäts-Mord‹. Ist es denkbar, dass zwei unauffällige, wenngleich hochintelligente Männer wahllos eine junge Frau erschießen, nur um zu beweisen, dass ihre Theorie stimmt?
Diese Parallelen! Mir lief es heiß und kalt den Rücken hinunter. Ich stürzte in Jansens Büro: »Der perfekte Mord. Das ist es!«
»Kannst du bitte in möglichst klaren und deutlichen Sätzen reden?«
Ich atmete mehrmals tief durch und berichtete.
Als ich fertig war, schien mein Chef beeindruckt. »Die Studenten wollten
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