Grau - ein Eddie Russett-Roman
der die Stellung hält. Das war ich, leider. Ich muss die Verantwortung auf meinen Schultern tragen.«
»Welche Verantwortung?«
»Ohne mich hat das Leben für niemanden einen Sinn.«
»Hat Munsell nicht gesagt, es sei die Farbe, die unserem Leben Sinn gibt?«
»Farbe hat die Funktion, unserem Leben scheinbar einen Sinn zu geben. Es ist eine Abstraktion, eine Fehlleitung – nichts anderes als die Schaubühnen auf der Gute-Laune-Messe. Solange ihr nichts anderes im Kopf habt als Chromatischen Aufstieg, ist kein Platz für andere, destruktivere Gedanken. Verstehen Sie?«
»Nein«, sagte ich, ganz benommen von Mr Baxters seltsamer Weltsicht. »Was war das Große Ereignis?«
»Ich wurde nach der Epiphanie geboren. Ich weiß nicht, was passiert ist. Aber wenn Sie das herausfinden wollen, sollten Sie nach Rostberg zurückkehren und die Arbeit, die Zane und Ocker angefangen haben, vollenden.«
»Das Deckengemälde?«
»In dem Deckengemälde steckt alles drin«, sagte er. »Man braucht nur einen Schlüssel.«
Ich erinnerte mich an den starken Eindruck einer Vorahnung, die mich erfasst hatte, und an das Erscheinen der Puka. Die im Perpetulit versteckten Schaltfelder, die durch Harmonie angetriebenen Everspins, das war noch längst nicht alles. Die Welt war unendlich vielfältiger und reicher, als ich dachte, und wir wahrscheinlich auch.
»Aber … «
Ein dreimaliges lautes Klopfen an der Tür unterbrach mich. Es war mir bewusst, dass ich Mr Baxter eigentlich gar nicht zur Kenntnis nehmen durfte, geschweige denn mich mit ihm unterhalten, also ging ich zur Tür, um den Gast abzuwimmeln.
Es war Courtland Schwefel. Er war allein, und er tat rein geschäftsmäßig.
»Zweiundzwanzig Minuten.«
»Wie bitte?«
»Zweiundzwanzig Minuten«, wiederholte er, »bis zur Abfahrt des Zuges. Du hast deine offene Rückfahrkarte von der Malve übergeben, aber ich habe noch eine übrig. Morgen um diese Zeit kannst du schon in den Armen deiner Liebsten liegen. Keine Exkursion nach Hoch-Safran, keine Stuhlzählung, keine Ehe mit Violetta. Du kannst wieder so leben wie früher, bevor du hierher zu uns in die Randbezirke gekommen bist.«
»Ich habe immer noch achthundert Meriten verloren.«
»Das musst du selbst in Ordnung bringen.«
»Und wo ist der Haken?«
»Es gibt keinen«, sagte er mit einem gequälten Lächeln. »Wir geben dir eine Fahrkarte, und du steigst in den Zug. Du schuldest uns nichts, und wir schulden dir nichts. Wir sind quitt. Es ist so, als wärst du nie hier gewesen.«
»Ich muss erst noch meinem Vater Bescheid sagen.«
»Du kannst ihm eine Nachricht hinterlassen. Er wird das verstehen. Einundzwanzig Minuten. Wenn du wirklich von hier weg willst, musst du jetzt sofort los.«
Sie hatten es gut abgepasst, und die Entscheidung fiel mir nicht schwer. Ich nahm die angebotene Fahrkarte.
»Gut so, mein Junge«, sagte er. »Ich bringe dich zum Bahnhof.«
Offene Rückfahrkarte
2.6.32.12.269: Die Liste der potentiellen Rücksprunggüter wird im Grünen Sektor Ost geführt und aufbewahrt, in dem Dorf, das am weitesten westlich liegt. Neue Sprünge Zurück werden in umgekehrter alphabetischer Reihenfolge ausgewählt.
Courtland hatte den Zeitpunkt wirklich perfekt abgepasst. Als wir zum Bahnhof kamen, war der Zug gerade eingefahren. Bunty hatte ihren üblichen Posten bezogen und nickte Courtland zu, der wortlos kehrtmachte und zurück ins Dorf lief. Mittlerweile war es glühend heiß, kaum ein Wölkchen am Himmel, und die Trainspotter oben an der Böschung fächerten sich mit ihren Notizblöcken Luft zu.
Ich zog die Waggontür auf, grüßte freundlich eine sympathisch aussehende Blaue Frau mit Hut und Schleier und suchte mir einen Platz in dem fast leeren Abteil. Ich sah zu Bunty, die noch am Bahnsteig saß und mich mit dem Höchstmaß an Verachtung bedachte, das sie aufbringen konnte, und das war nicht wenig. Ich atmete tief durch und lehnte mich zurück. Sobald das Linoleum verladen war, würde der Zug losfahren, und da ich es kaum erwarten konnte, endlich von hier wegzukommen, schien die Zeit viel zu langsam zu vergehen. Was der Rat von Jade-unter-der-Limone dazu sagen würde, wenn ich eher als erwartet zurückkehrte, war mir egal. Hauptsache, ich war von hier weg und ich war am Leben.
»Master Edward?«, hörte ich eine Stimme. »Ein Telegramm für Sie.«
Es war Stafford, der sich lachend an die Mütze tippte.
Ich bedankte mich und fragte ihn, woher er wisse, dass ich hier sei, worauf er antwortete, er wolle
Weitere Kostenlose Bücher