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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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Standardvariable registrieren lassen sollen.«
    »Funktioniert das?«
    Travis meinte ja. Die Prozedur der Standardvariablen war eingerichtet worden, um minimale Änderungen der Regeln zu ermöglichen. Das beste Beispiel dafür war die Regel »Jedes Kind unter zehn Jahren erhält täglich um elf Uhr vormittags ein Glas Milch und einen Klaps«, die fast zweihundert Jahre lang als Munsells Überlieferung interpretiert und wörtlich genommen worden war. Kindern wurde das Glas Milch gegeben, danach bekamen sie einen Klaps auf den Po. Erst ein mutiger Präfekt wagte es, darauf hinzuweisen, natürlich taktvoll, dass es sich hierbei wohl um einen Druckfehler handele und es eigentlich Klops statt Klaps heißen müsste. Es wurde dem Irrtum des Kopisten zugeschrieben, keineswegs der Möglichkeit, dass auch die Regeln fehlbar sein konnten. Die Variable wurde trotzdem übernommen. Ein anderes gutes Beispiel war der Zug, mit dem wir fuhren. Die Schienenbahn war mit dem Dritten Sprung Zurück verbannt worden, doch ein schlauer Reiseoffizier hatte gefordert, wenigstens eine Ein schienbahn weiter zu betreiben – seitdem war die gyrostabilisierte invertierte Monoschienbahn in Gebrauch. Schlupflochkunde auf höchstem Niveau.
    »Es ist nicht allgemein bekannt, aber jeder darf einen Antrag auf eine Standardvariable stellen«, erklärte Travis. »Mehr als ablehnen kann der Rat nicht.«
    »Das wird er in den meisten Fällen wohl auch tun.«
    »Ja, aber dann hast du dich wenigstens abgesichert.«
    Ich goss den Tee auf und sah mich nach Keksen um, fand aber keine.
    »Hey«, sagte Travis, dem offenbar eine Idee gekommen war. »Wie ist es denn so in Ost-Karmin?«
    »Ich weiß nicht. Es liegt in den Randzonen, es muss also ziemlich wild zugehen da.«
    »Hört sich doch gut an. Wer weiß. Vielleicht hat ja ein Gelber Kamerad Mitleid mit mir und erwirkt ein Pardon für mich. Hast du zufällig fünf Meriten bei dir?«
    »Ja, danke.«
    »Ich kaufe sie dir für zehn ab.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Du musst mir schon vertrauen.«
    Neugierig gemacht, gab ich ihm den Fünfmeritenschein.
    »Danke. Und jetzt verpetz mich an den Diensthabenden Gelben, wenn wir in Ost-Karmin ankommen.«
    Ich willigte ein, überlegte dann kurz.
    »Kann ich noch mal das Limone linsen?«
    »Okay.«
    Ich linste noch mal und fühlte mich gleich wieder ganz sonderbar. In meinem Überschwang erzählte ich Travis, ich würde eine Oxblood heiraten.
    »Wen?«
    »Constance.«
    »Nie gehört.«
    »Das wurde aber auch Zeit«, schimpfte die Grüne Frau, als ich mit der Tasse Tee in der Hand zurückkam. »Was hast du so lange gemacht? Getrödelt? Wie der gemeinste Graue?«
    »Nein.«
    »Und mein Keks? Wo ist mein Keks?«
    »Es gab keine Kekse. Nicht mal ungenießbare.«
    »Hm«, sagte sie, in einem Ton, als hätte man sie furchtbar gekränkt, »dann geh und hol noch einen Tee für meinen Mann, Junge.«
    Ich sah zu dem Grünen Mann, der bis jetzt gar nicht auf den Gedanken gekommen war, dass er vielleicht auch eine Tasse Tee haben wollte.
    »Ach!«, sagte er. »Eine gute Idee. Mit Milch und einem Stück … «
    »Er geht nicht noch mal«, ließ sich mein Vater vernehmen, ohne von seinem Spectrum aufzublicken.
    »Ist schon in Ordnung«, sagte ich und dachte an Travis und seine Limonendose. »Es macht mir nichts aus.«
    »Nein«, sagte Dad, diesmal entschlossener. »Du bleibst hier.«
    Das Grüne Paar starrte uns ungläubig an.
    »Entschuldigen Sie«, sagte der Grüne Mann mit einem nervösen Lachen, »im ersten Moment dachte ich, Sie hätten gesagt, er werde nicht noch mal gehen.«
    »Das haben Sie ganz richtig verstanden«, antwortete mein Vater ungerührt, noch immer nicht von seiner Lektüre aufblickend.
    »Und warum, bitteschön?«, verlangte die Frau in selbstgerechter Empörung mit schriller Stimme zu wissen.
    »Weil Sie das Zauberwort nicht benutzt haben.«
    »Wir brauchen das Zauberwort nicht zu sagen.«
    Als Roter in einem Grünen Sektor zu wohnen hatte meinem Vater die Farbe nicht sympathischer gemacht. Das Spektrum war ganz gut vertreten in Jade-unter-der-Limone, doch die Grünen dominierten, und sie setzten eine pro-Grüne Politik durch. Hinzu kam, dass mein Vater nur ein Ersatz-Mustermann war, weil ein Grüner Mustermann ihn von einer dauerhaften Anstellung verdrängt hatte. Jedenfalls hatte er genug erlebt, um sich nicht herumkommandieren zu lassen. Ich hatte ihn zuvor noch nie auf einer Reise begleitet, aber es war ziemlich aufregend, zu erleben, wie er spektral

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