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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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Warmwetterperiode in Rottöne verwandeln zu lassen. Für die anderen Farben galt mehr oder weniger das Gleiche. Die Gelben genossen über das Jahr verteilt mehr Blütezeiten, die Blauen und Orangenen weniger. Die Grünen, wie sie nicht müde wurden zu betonen, hatten nur zwei chromatische Jahreszeiten, den lebenssprühenden Überfluss und den abgestorbenen Überfluss. Mir wurde langweilig, und ich fing an, im Spectrum zu blättern.
    Der Inhalt der Zeitschrift war so gut wie immer derselbe, auch diesmal: ein Leitartikel, der die einfache Funktionsweise der auf Farben basierenden Wirtschaft pries, auf den Seiten zwei und drei mit Zeichnungen illustrierte Berichte über die jüngsten Schwanattacken und Todesfälle durch Blitzschlag. Danach folgten einige »Top Tipps«, wie man seine Überlebenschancen verbesserte, wenn man vom Einbruch der Dunkelheit überrascht wurde. Dann die allwöchentliche Rassige Geschichte . Es gab Listen mit den aktuellen Betriebsstörungen im Schienennetz und schließlich die Seite mit der Wilden Wissenschaftlichen Hypothese , diesmal ein Artikel, der einen Zusammenhang zwischen der erhöhten Sonnenfleckenaktivität und der ansteigenden Ausbleichrate herstellte. Einige Leser hatten Amüsante Anekdoten beigesteuert, außerdem gab es noch einen Comic, Hasenmaskottchen Gus Honeybuns Geburtstagsglückwünsche, eine Vorschau auf die Gute-Laune-Messe, und am Ende wurden die Konkurrenten für den Vierten Großen Sprung Zurück in drei Jahren vorgestellt.
    Als Erstes las ich jedoch immer die Anzeigen in der Rubrik Ehewünsche. Nicht weil ich eine Partnerin außerhalb meines Heimatdorfes suchte, sondern weil sie eine gute Übersicht über die Preise auf dem hochkomplexen chromatischen Heiratsmarkt boten. Das Thema war für mich deswegen relevant, weil mein Vater eine stattliche Summe aufbringen musste, um mich mit einer Oxblood zu verheiraten.
    Es gab zwei Arten von Anzeigen. Die einen stammten von Eltern, die ihre Kinder unbedingt spektralaufwärts verheiraten wollten, mit jeder Menge Meriten als Beigabe, so wie diese hier:
    »W, 21 (R: 32,2 %, G: 12 %), starke Tugenden, hübsch und hilfsbereit, imponierende Feedback-Beurteilung, sucht Chromogenzija-plus Familie. 4125 Meriten und siebenundvierzig Schafe Mitgift. Lieferung verhandelbar, Annahmeverweigerung vorbehalten. Besichtigung in Ocker-in-der-Senke, PO6 5AD .«
    Auf der anderen Seite die Eltern, die bereit waren, ihre Kinder spektralabwärts zu verheiraten, um möglichst viele Meriten einzuheimsen, so wie dieser windige Kandidat:
    »M, Gelb, Beta (G: 54,9 %, R: 22 %), 26, allgemein positives Feedback, gesund, jedoch kein Schönling. Etwas schludrig, Liste der Tugenden auf Anfrage. Suche 8000 Meriten oder annähernd. Angebot. Jede Familie wird berücksichtigt, Möbel inklusive. Bei Unfruchtbarkeit Teilerstattung. Besichtigung in Groß-Feigwurz, CA4 6HA .«
    Zufällig entdeckte ich auch eine Anzeige aus Ost-Karmin, wo wir gerade hinfuhren:
    »18, weiblich, mit starkem Purpuranteil, 75 echte Tugenden, zupackend und gefällig, Ei-Bon, Feedback ausgezeichnet. Angebote nur über 6000. Demnächst verfügbar. Annahmeverweigerung ausgeschlossen. Zahlung bei Lieferung. Besichtigung unbedingt empfohlen. Ost-Karmin, LD 3 6KC .«
    Die Anzeige steckte voller Codes, da die Bestimmungen, was gesagt werden durfte und was nicht, sehr streng waren. »Demnächst verfügbar« hieß, dass ihre Farbwahrnehmung noch nicht geprüft worden war, ihr Ishihara aber bald bevorstand; »starker Purpuranteil« bedeutete, dass sie sehr wahrscheinlich die Fünfzigprozentmarke erreichen würde, was die Preisforderung von sechstausend rechtfertigte. Umso mehr, als sie auch schon einen Ei-Bon hatte, also jederzeit zum Mustermann gehen und sich das Ovulationsmuster zeigen lassen konnte. Für Nachwuchs wäre also gesorgt. Zwischen den Zeilen las man, dass die Eltern eine wohlhabende Purpur-Familie suchten, die kürzlich an Farbton verloren, aber die Hoffnung nicht aufgegeben hatte, ihre dynastische Stellung zurückzuerobern, und eine junge gebärfähige Frau brauchte. Die angegebene Zahl der Tugenden hatte wenig zu sagen, doch »Annahmeverweigerung ausgeschlossen« sprach Bände – der Purpurne mit der dicksten Brieftasche würde die junge Dame gewinnen, da sie jeden Bewerber annehmen musste, den ihre Eltern auswählten. Entweder war sie also sehr unterwürfig, oder ihre Eltern waren Tyrannen. Die meisten berieten sich heutzutage wenigstens mit ihren Kindern, bevor sie in ihrem Namen

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