Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
Vom Netzwerk:
mich wieder hin und ließ die Ereignisse des vergangenen Tages Revue passieren. Es bedurfte noch sehr vieler Gespräche mit Jane, bevor ich die einzelnen Bruchstücke zu einem Gesamtbild würde zusammenfügen können, aber dafür waren die Flitterwochen gedacht. Ich musste innerlich lachen.
    Es klopfte, und Dad steckte den Kopf durch den Türspalt. Seit meiner Rückkehr hatten wir noch kein persönliches Wort miteinander gewechselt, seine Absprache mit den von der Malves über die Regelung der Nachkommenschaft war noch nicht zur Sprache gekommen.
    »Es tut mir leid, dass ich dein, äh, Erbgut an die von der Malves verkauft habe«, sagte er und starrte dabei aus dem Fenster. »Aber ich habe wirklich nicht mit deiner Rückkehr gerechnet.«
    »Ich werde schon darüber hinwegkommen«, sagte ich. Ich wollte so ehrlich sein wie möglich. »Es gibt Wichtigeres, über das man sich Sorgen machen muss als die von der Malves.«
    »Ja, du hast recht«, stimmte er mir zu. »Es ist vielleicht nicht gerade der günstigste Zeitpunkt, es dir zu sagen, aber ich lasse mich hier als Mustermann nieder. Ich will Robin Ockers gute Arbeit fortsetzen.«
    »Damit das Dorf auch in Zukunft frei von Mehltau bleibt?«
    »Solange ich eben kann.«
    Ich war drauf und dran, ihm zu offenbaren, was ich wusste, entschied mich dann aber doch dagegen. Heute nicht. Wir würden ihn nach und nach in unsere Pläne einweihen.
    »Außerdem habe ich vor, Mrs Ocker zu heiraten«, fügte er hinzu. »Sie ist sympathisch, aber ich wollte mich vergewissern, dass du nicht verrückt spielst oder so.«
    Ich konnte mir schlimmere Frauen in der Mutterrolle vorstellen als die leicht exzentrische Mrs Ocker. Und Lucy brauchte einen Bruder als Vertreter im Rat, damit sie weiter unbehelligt ihre harmonischen Klänge aufspüren konnte.
    »Eine gute Idee, Dad. Ich wollte schon immer eine Schwester haben. Aber ich möchte dich vorwarnen: Tommo möchte Lucy heiraten.«
    »Tommo als Schwiegersohn?«, sagte er, plötzlich ganz fürsorglich. »Nicht, solange ich noch ein Wörtchen mitzureden habe!«
    Wir lachten.
    »Hör zu, Eddie«, sagte er, jetzt wieder ganz ernst, »von der Malve spuckt Gift und Galle, dass du eine Graue seiner Tochter vorziehst. Daisy hätte er noch toleriert, aber deine Entscheidung für Jane ist eine Kränkung. Die zehn Riesen, die ich für dich kriege, sind wichtig, aber wenn ich kein Veto einlege, stelle ich mich klar und deutlich auf deine Seite – und ich brauche die Unterstützung des Rats, wenn ich hier als Mustermann erfolgreich sein will.«
    »Ich liebe sie, Dad«, sagte ich nach einer langen Pause. »Von dem Moment an, als ich zum ersten Mal ihre Nase sah. Sie wird eine Russett, sie wird deine Schwiegertochter, und sie wird in diesem Haus wohnen. Du wirst dich an sie gewöhnen. Aber viel wichtiger ist, dass auch die Bewohner begreifen, dass man so etwas machen kann und soll. Chromatischer Aufstieg ist mir egal, man sollte der Stimme seines Herzens folgen – in allen Lebensbereichen. Aber das verstehst du wohl nicht. Für dich gilt, erst der Farbton, dann die Liebe, oder?«
    »Das stimmt nicht ganz«, antwortete er und übergab mir ein zerfleddertes, rot eingeschlagenes Meritenbuch.
    Ich nahm es, strich über den glatten Einband und blätterte die Seiten mit den Einträgen der Meriten durch, die sich meine Mutter durch ihre aufopferungsvolle Zivile Arbeit verdient hatte. Es ging weit über das hinaus, was die Verpflichtung verlangte. Sie hatte dem Kollektiv gewissenhaft gedient, nur um dann ausgestoßen zu werden, sobald sie von keinem weiteren Nutzen mehr war. Es machte mich wütend, und ich fing an zu zittern.
    »Schlag die letzte Seite auf, Eddie.«
    Ich tat es, und ich erkannte ihre Postleitzahl und ihre Handschrift wieder. Außerdem war die Seite noch mit dem offiziellen Stempel versehen, dass ihre Meriten auf ihren Mann übertragen worden waren, und, wichtiger noch, der Grad ihrer Farbwahrnehmung war hier vermerkt.
    »Manchmal tut man Dinge, die man später bereut, und dann versucht man, sie wiedergutzumachen«, sagte er mit leiser Stimme, als ich gelesen hatte und als ich die Bedeutung des Gelesenen ganz erfasst hatte. »Wir sind uns nicht unähnlich, du und ich, obwohl wir von Rechts wegen verschiedener nicht sein könnten.«
    Ich gab ihm das Buch zurück. »Du wirst immer mein Dad bleiben«, sagte ich.
    »Und ich werde weder Einspruch gegen deine Ehe erheben noch aufhören, ein wachsames Auge auf dich zu haben.«
    Wir sahen uns sehr lange

Weitere Kostenlose Bücher