Grau - ein Eddie Russett-Roman
also auch noch zehn, fünfzehn Minuten nach Sonnenuntergang möglich. Natürlich hätte Jane uns auch im Dunkeln bis vor die Haustür fahren können, doch sie hatte mir versprochen, die Pupillen fest verschlossen zu halten und so zu tun, als würde sie unter dem gleichen erbärmlichen Mangel an Nachtsicht leiden wie wir alle. Es war klar, dass wir es nicht schaffen würden, die Frage war nur: Wie weit würden wir kommen? Die zweite offensichtliche Frage war bislang unausgesprochen geblieben, doch viel länger ließ sie sich nicht umgehen, und es war Tommo, der sie endlich stellte.
»Wo ist eigentlich Courtland?«
»Den hat auf dem Rückweg ein Yateveobaum abgegriffen.«
»Wow«, sagte Tommo. »Aber dir ist nichts passiert, oder?«
»Nein, ich bin davongekommen.«
»Du hast ja keine Ahnung, wie froh ich darüber bin.«
»Oh, vielen Dank, Tommo.«
»Musst du nicht persönlich nehmen«, sagte er, für den Fall, dass ich die Bedeutung seiner Worte missverstand. »Wenn ihr beide getötet worden wärt, hätte ich bei meinem Einsatz ein Vermögen verloren. So komme ich wenigstens ohne Verlust davon. Und was ich dir noch sagen wollte«, fügte er hinzu, »dein Tritt hat echt weh getan.«
»Und du hättest mich in dem Flakturm bereitwillig dem Hungertod ausgesetzt. Willst du jetzt mit mir streiten?«
»Nein.«
»Tommo ist eine falsche Schlange«, sagte Violetta. »Wenn ich noch mal mit ihm allein sein muss, tue ich ihm Gift ins Essen und übernehme die Verantwortung für die Folgen.«
»Und ich werde es mit Freuden essen.«
Unterwegs gerieten wir mehrmals gefährlich nah an die Straßenkante, weil Jane sich in einem rasenden Tempo in die Kurven legte. Ich sah zur Sonne, die jetzt die Bergkuppen berührte, dann drehte ich mich um, und Violetta erwiderte meinen Blick, lachte, biss sich auf die Lippen und versuchte dann, etwas wiedergutzumachen.
»Edward, Darling«, sagte sie. »Es tut mir ja so leid, was heute Morgen passiert ist. Es war gemeiner, vorsätzlicher Raub. Aber wir waren alle so besorgt, dass du nicht heimkehren würdest, und die Linie der von der Malves hat dem Dorf wirklich viel Gutes und Nützliches zu bieten. Du verstehst doch, wie wichtig das ist, oder?«
Ich überlegte angestrengt, was ich sagen sollte.
»Ich verzeihe dir, Violetta – falls du die siebenhundert Meriten, die du dir verdient hättest, an Jane Grey abtrittst.«
Violetta willigte sofort ein, ohne Jane auch nur eines Blickes zu würdigen, und ich bat Tommo, in dieser Angelegenheit mein Zeuge zu sein, wozu er ebenfalls sofort bereit war.
»Du bist ein Schatz!«, sagte Violetta. »Ich erkläre unsere Ehe hiermit noch mal für geschlossen. Mummy und Daddy werden sich freuen.«
»Ich werde dich nicht heiraten, Violetta.«
»Ich tue einfach nur so, als hättest du eine Wahl, aus reiner Freundlichkeit«, sagte sie, schon etwas gereizter. »Aber eigentlich hast du gar keine andere Wahl.«
»Ich könnte jemandem versprochen sein.«
Sie brach in stürmisches Gelächter aus.
»Solange ich die Favoritin bin, würde niemand im Dorf es wagen, dir ein Versprechen auch nur anzubieten«, erklärte sie hochmütig. »Das ist der Vorteil, wenn so viele Leute erpicht darauf sind, mit einem befreundet zu sein.«
Es folgte eine Pause, in der sie mich anstarrte, und ich starrte sie an, unbekümmert, dann runzelte sie die Stirn und blickte zu Jane, und in dem Moment hatte sie begriffen.
»Oh nein. Das ist wirklich zu erbärmlich. Bitte sag mir, dass das ein Witz sein soll.«
»Das ist kein Witz, Violetta.«
»Ich ziehe mein Pfand von siebenhundert Meriten zurück. Fox, du hast nichts gehört.«
»Und ob ich was gehört habe«, erwiderte Tommo, der den Streit mit ihr noch nicht vergessen hatte.
»Pass auf, Russett«, sagte Violetta. »Ich habe nichts dagegen, wenn du dir nebenher ein bisschen von DemEinen gönnst. Etwas mehr Übung würde dir gar nicht schaden. Die zwei Meriten, die das kostet, würde ich dir sogar spendieren.«
Sie zuckte wie automatisch zusammen; offenbar rechnete sie damit, dass Jane sie schlagen würde, doch Jane beachtete sie gar nicht, sondern donnerte weiter stur die Straße nach Ost-Karmin entlang und legte sich in die nächste scharfe Kurve.
»Ich werde ab jetzt ein untadeliges Leben führen«, bemerkte Jane trocken. »Komme nur noch meinen Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft nach und sorge für meinen Mann.«
Violetta verzog das Gesicht.
»Allein bei dem Gedanken kommt mir das Kotzen. Jane Russett nimmt
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