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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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sah bezaubernd aus, geradezu strahlend, und sie war in Begleitung ihrer Eltern, die vor Stolz platzten. Ich reichte Stafford die Hand, dann wurde ich Janes Mutter vorgestellt, einer kleinen, vergnügten Frau, die nur ein Ohr hatte.
    »Angenehm«, sagte ich.
    »Wie bitte?«, erwiderte sie, legte eine Hand an die Stelle, wo ihr Ohr gewesen war und prustete dann los vor Lachen, es sollte ein Scherz sein.
    »Mutter!«, schimpfte Jane. »Bitte! Das ist mir peinlich!«
    »Entschuldigen Sie, dass ich nicht vorher bei Ihnen um die Hand Ihrer Tochter angehalten habe«, sagte ich zu den Eltern, »aber die Bedingungen unserer jungen Liebe waren etwas kompliziert.«
    Eine Glocke ertönte.
    »Man ruft nach euch«, sagte Janes Mutter und gab uns beiden einen Kuss. »Viel Glück!«
    Wir begaben uns in das Kapitelhaus, wo Amaranth stand und mit der Handglocke läutete, und versammelten uns im Vorraum, hinter den Ratskammern. Wir nahmen Platz, und Amaranth las die Anweisungen aus dem Protokoll vor und sagte uns, wir brauchten nicht aufgeregt zu sein und sollten es genießen. Zum Schluss machte er noch einen lahmen Witz, aber wir lachten trotzdem, und die Spannung löste sich. Alle Augen richteten sich danach auf die Tür, die zu den Ratskammern führte. Man schritt als Jugendlicher durch diese Tür und betrat zwanzig Minuten später das Dorf als Erwachsener. Das Kapitelhaus durfte man sogar durch den Eingang der Präfekten verlassen. Eine große Ehre.

Ishihara
    6.3.01.01.225: Der Ishihara-Test ist endgültig und kann nicht wiederholt werden.
    Um Punkt zehn Uhr wurde die erste Person aufgerufen. Es war Violetta, und beschwingt ging sie zu dem Colormann. Wir anderen blieben unter Amaranths wachsamen Blicken schweigend sitzen, und nach zwanzig Minuten war Doug an der Reihe. Er verbeugte sich zum Abschied vor uns allen, bevor er nebenan verschwand, und nach einer halben Stunde wurde Jane aufgerufen. Unsere Blicke trafen sich, als sie aufstand, und sie lächelte schwach. Wir saßen herum und starrten dumpf ins Leere, rutschten alle zwanzig Minuten einen Stuhl weiter, sodass immer derjenige, der als Nächster dran war, unmittelbar neben der Tür saß.
    »Edward Russett?«
    »Ja?«
    »Sie können jetzt hineingehen.«
    Ich stand auf, betrat die Ratskammern und schloss sorgfältig hinter mir die Tür. Zwei Personen befanden sich im Raum, mein ehemaliger zukünftiger Schwiegervater und der Colormann. Letzterer war angetan mit einer langen Robe, die keinerlei Farbe aufwies und vorne von einer Knopfleiste geschlossen wurde, die vom Halsansatz bis zu den Füßen reichte und in dem breiten Lichtstrahl, der vom Oberlicht herabfiel, hell leuchtete.
    »Hallo, Eddie«, sagte der Colormann freundlich.
    »Setzen Sie sich. Haben Sie Ihr Meritenbuch dabei? Ich weiß, dass Sie bereits verifiziert wurden, aber ich muss es trotzdem noch mal nachprüfen.«
    Ich gab ihm das Buch, und nachdem er sich überzeugt hatte, dass ich der Richtige war, setzte er sich bequem hin und räusperte sich.
    »Es ist ganz einfach. Sie brauchen mir nur zu sagen, was Sie auf den Bildern sehen.«
    Auf dem Lesepult vor mir lag ein großer Foliant, und von der Malve stellte sich rechts neben mich, um die Seiten für mich umzublättern. Auf ein Zeichen des Colormanns schlug er den Folianten auf.
    Die Seite zeigte einen Haufen grauer runder Flecken, deren Größe von einem einfachen orthographischen Punkt bis zum Bleistiftdurchmesser reichte. In diese graue Masse verstreut waren farbige Punkte, die in ihrer Gesamtheit ein Bild ergaben.
    »Was erkennen Sie?«
    »Einen Schwan.«
    »Und was steckt in seinem Schnabel?«
    »Nichts.«
    »Richtig. Schlagen Sie bitte Seite sieben auf, Mr von der Malve.«
    Auf dieser Seite waren noch mehr Punkte zu sehen, aber mittendrin war diesmal kein Schwan, sondern eine Zahl.
    »Neunundzwanzig«, sagte ich.
    »Gut«, sagte der Colormann. »Bitte Seite achtzehn.«
    Es war der Umriss einer Sprungziege. Danach folgten eine Wellenlinie, dann nichts, dann wieder eine Zahl. Nach jeder Antwort strich der Colormann etwas in seiner Tabelle an, notierte die Punktzahl und nannte Mr von der Malve die nächste Seite. Nach einer Viertelstunde zeigte man mir eine Tafel, auf der überhaupt keine Zahl zu erkennen war, auch kein Bild oder dergleichen, lediglich eine Masse grauer Punkte. Schon wollte ich zugeben, dass ich nichts erkennen könne, da kam mir plötzlich die Zahl Sechzehn in den Sinn. Es war nicht mein Bewusstsein, mit dem ich die Farbe sah, es war mein

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