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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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Unterbewusstsein.
    »Sechzehn.«
    »Hm!«, sagte der Colormann. Es war die erste Reaktion, mit der er eine Einschätzung kundtat. »Seite zweihundertvier.«
    Wieder konnte ich nichts erkennen, vermutete jedoch das Bild eines Pferdes in dem Punktemeer.
    »Es ist ein Pferd.«
    »Genau.«
    Wir gingen noch zwanzig weitere Tafeln durch, manche Bilder erahnte ich, manche nicht. Aber ich hatte ohnehin den Eindruck, dass die Prüfung mehr oder weniger abgeschlossen war. Die Anspannung wich. Nach noch einmal drei Bildtafeln, auf denen ich absolut gar nichts erkennen konnte, zählte der Colormann die Punktzahl zusammen, schrieb etwas in mein Meritenbuch und stand auf.
    »Herzlich willkommen im Kollektiv, Mister Russett«, sagte er und schüttelte mir die Hand. »Sie haben viel beizusteuern, und Sie haben eine Verpflichtung zu erfüllen. Handeln Sie klug, handeln Sie gerecht, und handeln Sie nach den Regeln. Und nicht vergessen: Getrennt sind wir stets vereint.«
    Ich wandte mich schneidig um, verließ die Kammer und trat nach draußen in die Sonne, zutiefst erleichtert. Mein Vater, der auf mich gewartet hatte, begrüßte mich, und etwas weiter weg, auf dem Mäuerchen des Colorgartens, saß Jane.
    »Und?«, fragte Dad. Mit klopfendem Herzen und zitternden Händen schlug ich das Büchlein auf.
    »Sechsundachtzig Komma sieben Prozent Rot«, sagte ich und zeigte auf den Eintrag. »Geringfügige Streuung auf die Felder Blau und Gelb.«
    »Glückwunsch.«
    »Danke.«
    Er umarmte mich noch mal und sagte dann, Jane wolle mich sprechen. Ich ging zu ihr, mit einer Miene, die wohl einem ziemlich blöden Grinsen gleichkam. Falls ich meine Verpflichtungen als Präfekt nicht noch aufschieben wollte, würde ich, gleich nachdem ich das rituelle ›Klopfen an die Tür der Ratskammer‹ vollzogen hatte, vereidigt. Wir könnten unser gemeinsames Leben beginnen, Jane und ich, vielleicht sogar mit einer Erkundungstour der Fakultät nach Smaragdstadt reisen. Als ich näher kam, sah ich, dass mein Grinsen nicht erwidert wurde. Im Gegenteil.
    Ich setzte mich neben sie. »Probleme?«, fragte ich.
    »Nur rein persönlicher Art. Es ändert nichts an unserem Großen Plan. Es ist nur, na ja … ich bin zu zwölf Prozent Gelb.«
    Ich musste lachen. Zwölf Prozent, das lag nur zwei Prozent über der Schwelle, war also praktisch vernachlässigbar, und wenn man an Janes große Abneigung gegen die Gelben dachte, hatte es doch auch einen gewissen Appeal.
    »Du bist keine Graue mehr. Der Wert macht dich zu einer Schlüsselblume, mindestens. Hat Bunty dich schon aufgefordert, jemanden auszuspionieren?«
    »Eddie«, sagte sie mit einer ernsten Miene, die mir gar nicht gefiel. »Da ist noch etwas. Ich habe auch noch vierzehn Prozent Blau.«
    Plötzlich verging mir das Lachen.
    »Sonst noch was?«
    »Nein.«
    »Mist!«, rief ich, so laut, dass einige in Hörweite anfingen zu tuscheln. Die Stimme heben war ein Zeichen von mangelnder Selbstbeherrschung. »Mist! Mist! Mist!«
    »He«, sagte sie und nahm meine Hand. »Vielleicht ist es so am besten. Der Große Plan bleibt doch bestehen, oder?«
    »Warum soll es so am besten sein?«, fragte ich verzweifelt. »Du bist eine Grüne. Wir sind komplementär. Wir können nicht heiraten, wir dürfen nicht mal miteinander reden. Mein Vater wird jetzt auf eine Verbindung mit Violetta pochen, und ich habe nichts, um ihn davon abzuhalten.«
    »Eddie«, wiederholte sie. »Verlier das Wichtigste nicht aus den Augen. Ich weiß, es ist hart, aber es gibt Dinge, die sind größer als wir. Der Große Plan bleibt bestehen, ja?«
    Ich sagte nichts, sah stattdessen zu Boden, hielt den Kopf in den Händen und fragte mich, wen ich womit hätte bestechen können, um Janes Farbwahrnehmung abzuändern. Zu spät. Der Ishihara wurde nicht wiederholt. Der Test war vorbei, der Colormann über jeden Vorwurf erhaben. Sogar unfehlbar. Ich sah Jane in die Augen, die voller Tränen waren. Dabei war der eigentliche Witz an der Sache, dass wir nicht mehr als komplementär galten und frei miteinander reden konnten, sobald ich mit Violetta verheiratet wäre. Wenn von der Malve und Violetta uns eins auswischen wollten, sie hätten es nicht grausamer anstellen können.
    »Also gut«, sagte ich endlich. »Der Große Plan bleibt bestehen. Wer weiß? Vielleicht bin ich im Haus von der Malve genau am richtigen Platz. Zuerst die Politik, dann die Liebe, stimmt’s?«
    »Ich könnte Violetta jederzeit töten. Und es würde aussehen, als wäre es ein Unfall

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