Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
Vom Netzwerk:
Zur Befriedigung der Nährstoffbedürfnisse von Vegetariern gilt jeden ersten Dienstag im Monat ein Hühnchen offiziell als Gemüse.
    Wir fingen damit an, das Haus zu erkunden. Es bestand aus einem Holzfachwerk, das aussah, als stammte es aus dem ersten Jahrhundert nach dem Großen Ereignis, und obwohl ganz gut in Schuss, zeigte sich hier und da sein Alter. Der Boden war gekachelt, um im Sommer die Kühle zu speichern, und die Flügelfenster hatten außen Fensterläden und innen Vorhänge. Die Wände waren roh verputzt und weiß getüncht, um das natürliche Licht zu reflektieren, und der schwache Geruch von Borax konnte nur bedeuten, dass die Hohlräume kürzlich neu mit Holzwolle ausgestopft worden waren.
    Das Haus hatte drei Geschosse. In der gut ausgestatteten Küche befanden sich neben dem Gasherd und einem irischen Spülstein noch ein Tisch, eine Uhr und eine Anrichte voller Linogeschirr. An den Balken baumelten jede Menge Töpfe und Pfannen, alle blitzsauber, und in der Besteckschublade lagen Messer, Gabel und, wie zu erwarten, keine Löffel.
    Ich setzte den Kessel auf, falls die Präfekten überraschend aufkreuzen sollten, fand die Teedose, suchte die Geschirrteile mit den wenigsten Macken heraus und stellte alles rasch auf ein Tablett.
    »Bitte keine Untertassen zu den Tassen«, bat mich Dad. »Die Leute sollen nicht denken, wir würden vornehm tun.«
    »Es sei denn, sie trinken daraus«, gab ich zu bedenken.
    »Stimmt auch wieder. Dann stell sie lieber doch hin, wie immer.«
    Die Küchentür führte zu einem Flur, von dem aus man Zugang zu einem kleinen, holzverkleideten Arbeitszimmer hatte, darin ein Schreibtisch aus Walnussholz, ein Stuhl und ein poliertes Telefon aus Bakelit, das vermutlich an das interne Netz des Ortes angeschlossen und nicht, wie das Gerät des Alten Magenta zu Hause, nur mit sich selbst verbunden war. Ein Stück weiter öffnete sich der Flur zu einer gekachelten Diele, und geradezu war die Haustür. Links und rechts gingen die beiden Wohnzimmer ab, jedes mit einem großen Panoramafenster zum Marktplatz hin, das obere Drittel jeweils mit Luxfer-Prismen ausgelegt, um das natürliche Licht zu verstärken. Die Räume waren sehr hübsch mit Linoleum-Holzimitat vertäfelt, die Möbel abgenutzt, aber brauchbar, und im Salon hingen zwei Vettrianos. Darunter prangte ein versiegelter Glassturz, der einige kuriose Dinge zur Schau stellte, die wohl im Rahmen der Lokalisation verstreut worden waren. Unter dem üblichen Nippes fanden sich auch drei grobe, aus Elfenbein geschnitzte Schachfiguren, ein verziertes, zeremonielles Schwert, ein geschmackvoll dekoriertes Ei und mehrere ungewöhnliche Medaillen, auf die » XVCI . Olympiade« geprägt war. Eine beeindruckende Sammlung, dafür dass Ost-Karmin vom Regionalzentrum weit entfernt war. Andererseits war Ost-Karmin, wie wir bereits gesehen hatten, früher mal sehr viel größer und vermutlich auch bedeutender gewesen als heute. Das einzige ähnlich opulente Haus, das ich je betreten hatte, war das der Oxbloods. Es war, als Constance mich ihren Eltern vorstellte, ein Besuch, der für mich sehr unangenehm wurde, als Constance den Raum verließ, um dem Butler Bescheid zu geben, noch einen Teller mehr auf den Abendbrottisch zu stellen, und Mr Oxblood vergaß, wer ich war und mich für einen Lakaien hielt. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und wenn Constance nicht wiedergekommen wäre, hätte ich wohl ihren Eltern Tee serviert und Mr Oxbloods Hühnerauge gefeilt.
    Die Treppe war rund und lag der Haustür unmittelbar gegenüber. Es war keine einfache Wendeltreppe, sondern gleichzeitig ein Lichtschacht, wobei der blanke Heliostat durch das lasierte achteckige Dachfenster hoch oben gut zu erkennen war.
    Wir erklommen die knarrenden Stufen und fanden im ersten Stock drei Schlafzimmer vor, die recht gemütlich waren, wenn auch ein bisschen asketisch. In jedem standen ein Bett, eine Frisierkommode, ein Stuhl, eine Hosenpresse und ein Schreibpult, auf dem Notizpapier mit dem Aufdruck Ost-Karmin – DAS TOR ZUM ROTSTEINGEBIRGE auslag. Zwei Gelenkreflektoren aus Messing sorgten für Licht an den gewünschten Stellen im Raum.
    »Ich möchte das Schlafzimmer nach vorne raus«, sagte Dad und nahm sein Zimmer gleich in Augenschein. Nach einer kurzen Erkundung entschied ich mich für das Zimmer nach hinten, es war heller und hatte Abendsonne. Gerade wollte ich weiter hoch in den zweiten Stock, da stutzte ich. Anscheinend wohnte hier noch jemand. Pappkartons

Weitere Kostenlose Bücher