Grau - ein Eddie Russett-Roman
wir befanden uns hier in der Randzone, und ich wollte Dorian auf keinen Fall kränken.
»Das ist … beeindruckend. Da lässt sich bestimmt was machen. Haben Sie noch mehr?«
Das Ost-Feld werde gerade bestellt, sagte er, traditionell eine Fläche, an der Schweblinge aus der frisch umgepflügten Erde hervorkämen, und seine Familie habe die alleinigen Bergungsrechte. Ich sagte, ich würde Fenton fragen, ob man ins Geschäft kommen könnte, dann tippte ich einen der größeren Schweblinge mit dem Finger an, und sofort schoss es ans andere Ende der Küche, nur um gleich wieder träge zu den anderen zurückzugleiten.
»Eigenartig, nicht?«, sagte Dorian. »Noch ein Shortbread?«
»Nein, danke.«
»Sehr klug. Könnte ich vielleicht ein Interview mit Ihnen für den Merkur machen? Unsere Leser möchten gerne hören, wie egoistisch ihr Bewohner in den Regionalzentren seid.«
Ich bedankte mich und sagte, im Moment hätte ich zu tun, würde mir aber in den nächsten Tagen Zeit für ihn nehmen. Er erwiderte, das sei wunderbar, doch er zögerte noch.
»Kann ich Ihnen sonst noch behilflich sein?«
»Verzeihen Sie, wenn ich etwas vorlaut bin, Master Edward, aber es gibt hier einen Markt für offene Rückfahrkarten, und falls … «
»Ich verkaufe nicht«, sagte ich und lachte, um ihm zu signalisieren, dass ich ihn nicht melden würde. »Ich brauche die Karte, um wieder nach Hause zu fahren.«
»Natürlich. Aber ich würde Ihnen … sagen wir, zweihundert Meriten dafür anbieten. In bar.«
Für einen Grauen waren das ganz schön viele Meriten, noch dazu in transferierbarer Form und nicht als bloße Gutschrift im Meritenbuch. Aber auch für mich war es viel Geld. Damit hätte ich es mir leisten können, Constance öfter mal groß auszuführen, doch wenn ich nicht mehr nach Jade-unter-der-Limone zurückkam, hätte das wenig Sinn.
»Tut mir leid«, sagte ich, »aber ich brauche sie.«
Dorian entschuldigte sich, sagte noch, er würde sich jederzeit gerne mit mir unterhalten, wenn ich mal frei wäre, und ging.
Ich füllte die Zuckerdose mit unseren eigenen Würfeln nach und begab mich ins Wohnzimmer.
»Komisch«, sagte ich zu meinem Vater, der am Fensterplatz saß und sich vergeblich mit dem Kreuzworträtsel herumschlug. »Ich hatte gerade ein Angebot für meine offene Rückfahrkarte.«
»Die Randzone ist nicht jedermanns Sache«, erklärte er, ohne aufzublicken. »Du hast die Karte doch nicht etwa verkauft, oder?«
»Natürlich nicht.«
»Gut. Und übergib sie auch nicht den Präfekten zur sicheren Verwahrung. Die würden sie nur selber weiterverkaufen.«
Ich bedankte mich für den Hinweis und sagte dann: »Rate mal, wer unser Mitbewohner ist.«
»Drei senkrecht«, murmelte er, » geflecktes Equus . Neun Buchstaben, erster und letzter Buchstabe A.«
»Apokrypher.«
» Apokrypha ? Sehr schön.« Ohne nachzudenken füllte er die Kästchen aus.
»Nein, Dad, ich meine unseren Mitbewohner. Er ist ein Apokrypher.«
»Quatsch«, murmelte er und radierte die Antwort zum x-ten Mal aus. »Ein Apokrypher, sagst du? Hm. Dann hast du ihn hoffentlich nicht gefragt, ob er mit uns zu Abend essen will.«
»Gar nichts habe ich ihn gefragt«, antwortete ich, stellte die Milch und die Zuckerdose zusammen mit dem Teegeschirr ab und setzte mich zu ihm ans Fenster. »Und da er nicht existiert, kann er ja auch schlecht da sein – selbst wenn doch.«
»Sie sind nie irgendwo«, sagte mein Vater, »das ist es ja gerade. Geflecktes Equus . Hm.«
In dem Moment schrillte die Haustürklingel.
»Kannst du aufmachen?«, bat mich mein Vater, legte die Zeitung beiseite, zog die Krawatte stramm und stellte sich vor dem Kamin würdig in Pose. »Das ist der Oberpräfekt.«
Eine Graue und Sally Schwefel
1.2.31.01.006: Der Erwerb von Gütern und Dienstleistungen unter oder über Wert wird bestraft.
Ich richtete mich auf, mein Herz schlug schneller. Ich ging zur Haustür, hielt nur noch mal kurz inne, um meine Schuhe hinten an der Hose blank zu reiben, und öffnete.
Es war nicht der Oberpräfekt.
»Du?!«, rief ich. Auf der Türschwelle stand das merkwürdige, freche Mädchen aus Zinnober, das mir gedroht hatte, meinen Kiefer zu brechen. Ich empfand eine seltsame Mischung aus Begeisterung und Beklommenheit, die sich in meiner erschrockenen Miene niedergeschlagen haben musste. Ihr erging es offenbar genauso. Ein kurzer Moment des Zweifels spiegelte sich auf ihrem Gesicht wider, dann entspannte sie sich und starrte mich teilnahmslos
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