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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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den Garten mit Pigmenten. Schlimmer noch, man verwendete das veraltete Rot-Blau-Gelb-Farbmodell, das nur eine minimale Auswahl an Tönungen bot.
    »Letzte Woche ist die rote Patrone leer geworden«, sagte Tommo. »Und die gelbe kann auch jeden Tag austrocknen. Was das heißt, brauche ich dir nicht zu sagen.«
    Ich erkannte das Problem sofort. »Ja«, sagte ich, »blaues Gras. Das ist ja eklig. Kein Dorf sollte ohne ColorGarten auskommen müssen.«
    »Es gibt noch Mrs Schwefels Garten«, sagte er verächtlich. »Sie steckt ihre ganzen Bonusmeriten da rein. Sie hat sogar einen Gärtner angestellt, der alles von Hand färbt.«
    »Und das bei dem Arbeitskräftemangel, der hier herrscht?«
    »Es verstößt nicht gegen die Regeln. Was sagst du zu dieser Tür?«
    Wir kamen an den Hauptresidenzen auf der Sonnenseite des Marktplatzes vorbei. Die Tür, auf die Tommo mich aufmerksam gemacht hatte, war in Univisuellem Rot gestrichen, damit auch jeder sah, dass hier der Rote Präfekt residierte. Der künstliche Farbton machte die Tür unanständig grell, Beschläge und Maserung waren völlig verdeckt durch die alles übertünchende Farbe, die so stark war, dass sie in meinen anderen Sinnen Induktionsstörungen auslöste. Ich spürte den Geruch von verbranntem Haar, in meinen Ohren hörte ich ein Klingeln, und wirre Erinnerungsbilder kamen in mir hoch: meine Mutter, dann ein vor langer Zeit verstorbenes Haustier unserer Familie und eine Inszenierung von South Pacific , die ich mal gesehen hatte.
    »Ziemlich grell«, sagte ich und wusste dann augenblicklich, worauf er aus war. Er versuchte, meine Rot-Wahrnehmung zu ermessen.
    »Hm«, sagte Tommo. »Also nicht schmerzhaft? Keinen Tinnitus oder Erinnerungsschübe? Zum Beispiel Bilder aus Die Farbe des Geldes ?«
    »Nein. Und du?«
    »Ich sehe eher Schattenbilder aus Der Rote Korsar – und von Chuckles, unserem zahmen Dachs.«
    Wenn das zutraf, dann war Tommo mindestens so farbrezeptiv wie ich, doch nach allem, was ich bisher von ihm kannte, gehörte es hier zum Standard, mit seiner Farbwahrnehmung zu prahlen, und jeder Mensch wusste, dass eine Übersättigung durch die eigene Farbe Erinnerungen an Musicals und Haustiere heraufbeschwor.
    Wir gingen weiter. Keine zehn Schritte, und wir standen vor einem großen Gebäude, an dessen Fassade in großen Lettern › B ÜCHEREI ‹ stand.
    »Ist das die Stadtbücherei?«
    »Deine Kombinationsgabe ist umwerfend.«
    Ich überhörte den Sarkasmus. »Ich muss etwas nachschlagen«, sagte ich.
    »Mach nur«, sagte er. »Für mich ist das nichts. Leere Regale kann ich mir auch im Supermarkt angucken. Da riecht es besser, und man wird nicht belästigt.«

Die Unbücherei
    »Phantasievolles Denken ist zu unterbinden. Es führt zu nichts Gutem.« Munsell, Buch der Weisheit
    Ich machte die Tür auf und trat ein. Die Bibliothek war ein großer offener Raum mit einem kreisrunden Ausschnitt in der Decke, durch den senkrecht das Licht einfiel. Im Raum verteilt standen Tische und Stühle sowie einige Spiegel auf Ständern, sehr praktisch, um die Lichtstrahlen zum Arbeiten auf die Tische zu lenken – das heißt, wenn Bücher da gewesen wären, die man sich hätte ansehen können. Wie Tommo schon angedeutet hatte, waren die Regale so gut wie leer und die wenigen übriggebliebenen Bücher vorne und hinten so zerlesen, dass gerade mal von den mittleren Kapiteln noch ein wenig vorhanden war. Heutzutage ein Buch zu lesen war so, als würde man erfahren, wie jemand so lebt und was er so treibt, ohne jedoch zu wissen, wie er an diesen Punkt gekommen war oder wie es mit ihm zu Ende gehen würde. Das war nicht immer so gewesen. Eine Serie von Rücksprüngen hatte die Regale der Bereiche Wissenschaft, Geschichte, Biographie, Geographie, Kochbücher, Ratgeber, Gedichte und Kunst leergefegt, und jetzt war die Belletristik an der Reihe, Genre für Genre. Es gab noch immer andere Bücher außer den erwünschten und geförderten Sehr Rassigen Romanen, doch diese wenigen waren entweder ständig ausgeliehen, in der Fernleihe oder halb zerfleddert, auf jeden Fall standen sie nicht hier in der Bibliothek.
    »Womit können wir Ihnen behilflich sein?«, tönten plötzlich mehrere gedämpfte Stimmen im Chor, und ich zuckte zusammen. Insgesamt sieben Blaue hatten sich unbemerkt von hinten an mich herangeschlichen und sahen mich jetzt verwundert an. Obwohl die Regeln besagten, dass auch Bücher von den Großen Sprüngen Zurück erfasst werden sollten, war infolge einer unsauber

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