Grau - ein Eddie Russett-Roman
auf die Uhr sah, das Handgelenk schüttelte, dann die Zeiger verstellte, bis sie der Anzeige auf der Rathausuhr entsprachen.
»Genau«, sagte er geheimnisvoll, »jetzt geht es weiter zum Sortierpavillon. Wird Zeit, dass ich dir Big Banana vorstelle.«
Courtland Schwefel
5.2.02.02.018: Gelbe dürfen bei der Verfolgung von Regelverstößen gegen die Regeln verstoßen, jedoch müssen alle Regeln, gegen die verstoßen werden soll, vorher protokolliert und das Protokoll vom Gelben Präfekten gegengezeichnet werden.
Big Banana war der Spitzname für Courtland Schwefel, den Sohn der Gelben Präfektin, wie ich erfuhr. Ich fragte Tommo, warum Courtland mich kennenlernen wollte, worauf er mir erklärte, Schwefel der Jüngere möchte gerne jeden Neuen kennenlernen. Zwei Jahre zuvor hatte er bei seinem Ishihara die Achtzig-Punkte-Marke überschritten und würde sicher das Amt seiner Mutter übernehmen, sobald die in Rente ging.
»So schnell wird sie nicht abdanken«, ergänzte Tommo jedoch. »Und Courtland muss sich gehörig anstrengen, wenn er in ihre Fußstapfen treten will. Dazu braucht er das gleiche Maß an Skrupellosigkeit und Unfreundlichkeit wie sie.«
»Gelbe sind grundsätzlich skrupellos. Sie müssen so sein.«
»Nicht so skrupellos wie unsere hier. Präfektin Sally Schwefel verweigert den Grauen Arbeitskräften seit siebzehn Jahren jeden Urlaub und verordnet ihnen eine Wochenarbeitszeit von achtundsechzig Stunden. Sie behandelt sie wie Dreck und denkt sich ständig irgendwelche Scheinverstöße aus. Sogar ich, dem die Grauen herzlich egal sind, finde das nicht in Ordnung.«
»Gibt es einen Grund, warum sie so besonders gemein zu ihnen ist?«
»Die Schwefels halten sich für was Besseres. Viel Gelbsicht, dazu der Übereifer und die Skrupellosigkeit – dabei ist ihre Postleitzahl CV37 hoffnungslos provinziell. Alle Transfergesuche sind gescheitert, sie werden einfach ignoriert.«
Es war immer die gleiche Geschichte. Auch wenn sie offiziell nur als Adresse benutzt wurde, war es von großer Bedeutung, dass man die richtige Postleitzahl hatte, und Herablassung gegenüber Inhabern weniger angesehener Postleitzahlen war übliche Praxis, wenn auch verboten. Ich war froh, dass meine Zahl RG6 war.
»Aber die Überstunden muss sie ihnen ja auch bezahlen«, bemerkte ich, in Gedanken noch immer bei den Grauen. »Immerhin ein Ausgleich.«
»Wenn es etwas gäbe, wofür sie das Geld ausgeben könnten, ja.«
»Oder wenn sie ihre Meriten mit anderen teilen, zusammenlegen oder vererben könnten«, griff ich eine weitere der gängelnden, das Vermögen von Grauen betreffenden Vorschriften auf.
»Geschieht ihnen ganz recht. Warum essen sie beim Frühstück auch immer allen anderen den Speck weg«, sagte Tommo, dessen Empörung über die Behandlung der Grauen nur von erschreckend kurzer Dauer war. »Von wegen Getrennt sind wir vereint und der ganze Quatsch.«
»Ich staune, dass du dich überhaupt mit den Schwefels einlässt«, sagte ich, »wenn die wirklich so schlimm sind.«
»Genau das ist der Grund. Man muss mit den Wölfen heulen, wenn man es zu etwas bringen will. Außerdem hat Courtland eine offene Rückfahrkarte, und vielleicht verkauft er sie mir ja.«
Wir waren Richtung Fluss gegangen.
»Da drüben wohnen die Grauen.«
Er zeigte auf ein Gewirr von Reihenhäusern, die abseits der eigentlichen Stadt lagen und zu je zwei sich gegenüberliegenden Wohnblöcken angeordnet waren, zwischen denen eine Durchfahrtstraße verlief. Hinter den Häusern erstreckten sich schmale Gärten mit Spalieren von Stangenbohnen, Obstbäumen und Gartenschuppen, im Wind flatterte saubere Wäsche. Es müssen Hunderte oder noch mehr Häuser gewesen sein. Noch nie hatte ich eine Graue Zone betreten, kannte auch niemanden, der sich schon mal hineingewagt hatte. Selbst die Gelben überlegten es sich zweimal, dort hinzugehen. Aber statt zuzugeben, dass sie Angst hatten, behaupteten sie einfach, es sei unhygienisch, was offenkundig nicht stimmte. Graue mochten es nicht, wenn wir uns dort aufhielten, aus dem gleichen Grund, warum Graue sich nicht in der Stadt aufhalten durften, es sei denn dienstlich. Der entscheidende Unterschied war der, dass Chromatische jederzeit in die Graue Zone durften – es aber für klüger hielten, sich nicht dort blicken zu lassen.
»Unser Hausmädchen Jane ist eine Graue«, sagte ich; ein Versuch, etwas mehr über sie in Erfahrung zu bringen. »Sie kommt mir ein bisschen launisch vor.«
»Wir nennen sie nur Crazy
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