Grau - ein Eddie Russett-Roman
ging.
»Hat die Gelbe Gefahr dir schon alles über ihre heißgeliebte Knisterfalle erzählt?«
»Sie hat sie, glaube ich, mal erwähnt.«
»Das muss die alte Kuh erst mal jedem auf die Nase binden. Der Blitzableiter hat das Dorf über dreihunderttausend kommunale Meriten gekostet, obwohl seit Menschengedenken nur sechs Leute verbrutzelt sind – fünf davon durch Kugelblitz, und dagegen bietet die Knisterfalle sowieso keinen Schutz. Jede Woche lässt sie uns zu Übungen antreten. Und wenn sich nur das kleinste Wölkchen am Himmel zeigt, stellt sie bemannte Wachen auf. Alles dummes Geschwätz in meinen Ohren. Was meinst du?«
Seine unschickliche Schroffheit gefiel mir auf Anhieb. Tommo war untersetzt, etwas kleiner als ich, hatte weiche Gesichtszüge und eine lauernde, sprunghafte Art, die einem Gelben viel eher zu Gesicht gestanden hätte. Unter seinem Farbkennzeichen trug er das Etikett »Ungehörig«, außerdem »Niedriger Meritenstatus« und die Marke »Ober-Junior-Aufseher«, was ein Widerspruch in sich war.
Die Familie Fox war recht bekannt. Früher gehörte sie zu den ganz Großen im Handel mit Karmesinrotpigmenten, bis ein Skandal um Preisabsprachen zu einer massiven Verschuldung und dem Einzug von Vermögen geführt hatte. Trotz allem hatte sie sich einen gewissen hartnäckigen, wenn auch befleckten Stolz erhalten, und ihre Mitglieder waren nie abgeneigt, die Regeln großzügig auszulegen, wenn es ihnen passte. Unabhängig von Tommos beeindruckender dynastischer Abstammung und der glamourösen Postleitzahl FK 6 hatten mehrere unbesonnene Verbindungen mit niederwertigeren Farbtönungen – ein ungeschickter Versuch einer Erbhygiene aus Eitelkeit, wie manche meinten – die Linie verwässert, sodass die Foxes heute auf einem mittleren bis niedrigen Perzeptionslevel vegetierten und sich deutlich Richtung Grau bewegten. Die Russetts befanden sich auf dem aufsteigenden Ast, die Foxes auf dem absteigenden. So funktionierte das.
»Können wir noch an der Post vorbeigehen?«, fragte ich. »Ich möchte ein Telegramm aufgeben.«
Die Post lag an der Ecke, wie das bei Postgebäuden meistens der Fall ist. Draußen war eine Tafel angebracht, auf der in weißer Kreide die Schlagzeile aus der Wochenausgabe des Spectrum stand, irgendwas über Gesindel, das irgendwo eine Gräueltat begangen hatte. Außerdem gab es einen Briefkasten in einem sanften rötlichen Farbton, so ganz anders als die hochchromatischen Kästen in Jade-unter-der-Limone. Ich brauchte eine Weile, bis mir klar wurde, dass es sich um ein natürliches Rot handelte, die Farbe war einfach nur stark verblasst. Wenn man sich so umschaute, gab es überhaupt sehr wenige synthetische Farben in dem Dorf.
Ich schickte ein Telegramm an meinen besten Freund Fenton in Jade-unter-der-Limone, in dem ich mich nach Backwaren für Dorian erkundigte und ihm bestätigte, dass ich, wie gewünscht, die Taxanummer des Kaninchens protokolliert hatte. Die Nummer musste ich mir zusammenstoppeln, da ich das Kaninchen ja eigentlich gar nicht gesehen hatte, von seinem Strichcode ganz zu schweigen. Die ersten zwölf Ziffern für Säugetier waren noch simpel, da sie dieselben wie unsere waren, aber wie der Code danach weiterging, war ein Ratespiel. Schließlich verfiel ich auf die Zahl Dreizehn für die Ordnung , da es zwischen Nagetier und Igel eine Lücke im Taxa-Code gab, dann folgten Zwei und Sieben für Gattung und Spezies. Den übrigen Code füllte ich willkürlich mit anderen Zahlen aus, achtete nur darauf, dass er mit einem F endete, denn selbst Fenton wusste, dass das Letzte Kaninchen ein Weibchen war. Ich war ein bisschen nervös, da es eine dreiste Lüge war, aber sie würden schon nicht dahinterkommen, und außerdem hatte ich das Geld, das ich dafür erhalten hatte, längst ausgegeben. Ich schickte erst mal kein Gedichttelegramm an Constance, da ich noch Zeit brauchte, wenigstens etwas halbwegs Anständiges zustande zu bringen. Constance war es gewohnt, von mir und Roger Marone Gedichte zugeschickt zu bekommen, und da ich genau wie Roger jemanden dafür bezahlt hatte, die Reime für mich zu verfassen, lag die Latte entsprechend hoch. Wir waren beide keine großen Poeten.
Als wir die Post wieder verließen, fing Tommo an, mich auszufragen, und ich erzählte ihm von dem Vorfall mit Bertie Magenta, von der Stuhlzählung und schließlich von Jade-unter-der-Limone.
»Ein bisschen Grünlastig«, sagte ich auf seine Frage, wie es denn so in meiner Heimatstadt sei, »aber
Weitere Kostenlose Bücher