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Graue Schatten

Graue Schatten

Titel: Graue Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Nimtsch
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sagte sie kopfschüttelnd.
    „Vielleicht war es ja Herr Linde? Kevin? Der hatte Nachtdienst. Bestimmt wollte er nach Ihnen schauen.“
    „Ganz sicher nicht, Max. Kevin kommt nie so herein, ... so leise!“
    „Gut. In Ordnung. Ich gebe das weiter, Frau Degner.“
    „Und, Max: Er war grau! Ein lautloser grauer Schatten.“
    „Okay. Ich sag der Nachtwache, sie soll bei Ihnen unbedingt im Bad das Licht anlassen. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.“
    „Versprechen Sie mir das?“
    „Ich verspreche Ihnen, dass ich Ihre Bitte weitergebe, Frau Degner. Und die Nachtwache wird dann sicher auch das Licht anlassen.“
    Sie war leidlich beruhigt.
    Max saß da und schien nachzudenken. „Vielleicht war das ja Herr Eiche, letzte Nacht bei Ihnen im Zimmer?“
    Sie runzelte die Stirn. Einen Herrn Eiche kannte sie nicht.
    „Sie kennen ihn wahrscheinlich nicht. Er ist früher, das heißt bis vor einem halben Jahr, manchmal nachts spazieren gegangen und verirrte sich auch schon mal in ein fremdes Zimmer. Aber dann hat man ihm starke Schlaftabletten verschrieben, und seitdem tut er das nicht mehr.“
    Elvira Degner dämmerte etwas. Da war mal etwas gewesen.
    „Bloß gestern Abend hatte er wohl seine Tabletten nicht genommen. Und heute Morgen hat er Schwester Renate einen Schrecken eingejagt. Früh, kurz nach sieben, stand er plötzlich bei uns im Schwesternzimmer. Hat sich auch ganz leise angeschlichen. Zuerst wollte er nicht zurück auf seine Station. Dann haben sie ihn aber doch wieder rüber bugsiert.“
    Sie hörte interessiert zu.
    „Vor Herrn Eiche brauchen Sie jedenfalls keine Angst zu haben, der tut keinem was. Aber das Licht bleibt trotzdem an, versprochen.“
    Max stand auf. „Bis später, Frau Degner.“
    Der Pfleger ging. Sie glaubte fest daran, dass sie sich auf Max verlassen konnte.

Dienstag

    Der zweite Frühdienst oder auch der neunte Tag einer Zwölftagewoche war geschafft. Wie immer war Larissa verbotenerweise, ohne sich vorher in der Garderobe im Erdgeschoss umzuziehen, in ihrer weißen Dienstkleidung quer über den Hof zu ihrem Zweizimmer-Apartment hinüber gelaufen.
    Im ursprünglich als Personalwohnheim gedachten Nebengebäude wohnten inzwischen außer ihr nur noch zwei Mitarbeiter. Darüber hinaus lebten hier einige Rentner, die vom Heim betreut wurden. Alle Wohnungen wurden Anfang der neunziger Jahre, noch bevor Larissa einzog, renoviert und komplett mit der Ausstattung versehen, die für Betreutes Wohnen alter Menschen erforderlich war. Beide Sechziger-Jahre-Plattenbauten – Pflegeheim wie ehemaliges Wohnheim – hatten längst wieder einen Anstrich nötig. Zum Glück waren sie, wie damals üblich, weit außerhalb der Stadt errichtet worden.
    Wie gewöhnlich streifte Larissa zuerst im Bad ihre weiße Dienstkleidung ab und stellte sich dann auf die Personenwaage. Das ist halt das Gute an dem Job, dachte sie, als sie die Zahl fünfundsechzig auf dem Display las. Die Waage zeigte ein halbes Kilo weniger an als am Morgen, und das trotz Amaretto-Sahne-Creme nach dem Mittagessen! Eigentlich war sie zu schlank für die harte Arbeit, ab und zu machten sich schon die ersten Rückenprobleme bemerkbar. Nichtsdestoweniger freute es sie regelmäßig, dass sie, obwohl sie mit großen Schritten auf die dreißig zuging, noch immer ihre Teenager-Figur behalten hatte.
    Nur mit Slip und BH bekleidet schlappte sie in ihren Winterhausschuhen ins Schlafzimmer. Dort zog sie sich die Jogginghose und das warme, weinrote Sweatshirt über. Dann schlurfte sie wieder ins Wohnzimmer, steckte sich eine Zigarette in den Mund, griff sich Feuerzeug sowie Telefonmobilteil und ging durchs Schlafzimmer auf den Balkon.
    Zum Glück musste sie von hier aus nicht das Schattengrau , wie das Heim intern bisweilen genannt wurde, sehen. Eigentlich boshaft, den Nachnamen von Albert Sonnenweiß so zu verunstalten. Aber die inoffizielle Sprache unter den Pflegekräften war eben auch ein Ventil für den Stress.
    Hier, vor ihrem Balkon, gab es jedenfalls nur den Park und dahinter den Wald. Vom Wohnzimmer auf der gegenüberliegenden Seite der schmalen Wohnung aus hatte Larissa den Blick über den weiten Innenhof auf das Pflegeheim.
    Während sie sich die Zigarette ansteckte, ärgerte sie sich wieder darüber, dass sie es immer noch nicht geschafft hatte, den Glimmstängeln abzuschwören. Aber das Laster half ihr nun mal schnell und bequem, ein bisschen zu innerer Ruhe zu finden. Komplett abschalten konnte sie hier, dreißig Meter neben der

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