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Graue Schatten

Graue Schatten

Titel: Graue Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Nimtsch
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Arbeitsstelle, allerdings nie.
    So kam sie auch jetzt wieder ins Grübeln. Eigentlich hatte sie ja ihren Traumjob gefunden. Mehr oder weniger. Irgendwas musste man schließlich tun. In ihrem erlernten Beruf war damals, vor fast zehn Jahren, keine Stelle frei gewesen. Dagegen hatten sie in der Pflege händeringend Leute gesucht. Sie wollte einen Job, bei dem sie mit Menschen zu tun hat. Also hatte sie es ausprobiert, und es hatte ihr gefallen.
    Aber an manchen Tagen – und heute war wieder so einer – da würde sie am liebsten ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub beantragen. Sie fühlte sich wie nach einem Marathonlauf. Ausgelaugt. Sie war todmüde. Nachher würde sie eine halbe Stunde relaxen.
    Vorher allerdings gab es noch etwas zu erledigen. Im Speicher des Telefonmobilteils tippte sie auf die Kurzwahltaste eins. Im Display erschien: Betti Handy . Als die Mailbox sich meldete, legte Larissa gleich wieder auf.
    Seit Bettis Anruf am Sonntagabend hatten sie nicht mehr telefoniert. Gestern hatte Larissa schon versucht, ihre Freundin in der Praxis zu erreichen. Da war aber ihre Kollegin rangegangen und hatte gesagt, Bettina sei gerade im Labor. Sie hatte dann noch auf die Mobilbox von Bettis Handy gesprochen, aber bis jetzt hatte sie nicht zurückgerufen. Ziemlich ungewöhnlich. Denn schließlich hatte Betti am Sonntag Kevin verlassen. Sonst kam sie wegen jeder Kleinigkeit angerannt. Bei einem so einschneidenden Ereignis aber brauchte sie ihre Unterstützung nicht?
    Am späten Sonntagabend hatte sich Kevin wie erwartet noch bei Larissa gemeldet. Einerseits konnte er es nicht verstehen und wollte wissen, warum Betti so plötzlich abgehauen war. Andererseits wirkte er am Telefon nicht gerade verzweifelt, eher relativ gelassen. Aber so war er eben. Wenn er selber in Schwierigkeiten steckte, nahm seine Coolness ungeahnte Dimensionen an. Erzählt hatte er auch nicht viel. Aber auch das war sie gewöhnt. Ein cooler Typ wie er löst seine Probleme selbst – notfalls mit Alkohol.
    Sie dachte an die Übergabe am gestrigen Morgen. Da hatte sie ihn das letzte Mal gesehen und gehört. Er sah ziemlich fertig aus. Obwohl er das mit Bettis Auszug in dem Moment noch nicht mal wusste. Richtig zittrig war er. An der Nachtschicht oder den Sterbefällen lag das sicher nicht. Nach den vorherigen Nächten hatte er ja auch jedes Mal topfit gewirkt.
    Was sagte ihr das? Bei dem Streit, den das verflossene Paar am Sonntag gehabt hatte, mussten echt die Fetzen geflogen sein. Was sonst?
    Sie musste sich unbedingt Klarheit darüber verschaffen, was da abging, und wählte nun die Nummer von Bettis Arbeitsstelle. Nach mehrmaligem Tuten war ein, wie immer gekünstelt freundliches, „Praxis Dr. Hansen, Richter“ zu vernehmen.
    „Hi, ich bin's.“ Larissa freute sich, Bettis Stimme zu hören.
    „Hi! ...“
    Betti schien abgelenkt zu werden. Im Hintergrund hörte Larissa Dr. Hansens Stimme brummen.
    „Du, Lara, jetzt ist es gerade schlecht. Ich rufe dich nachher zurück. Okay?“, meldete sich Betti einen Augenblick später wieder.
    „Alles klar. Bis dann.“
    Larissa legte auf. Sie wusste, Betti würde zurückrufen. Gleich oder spätestens nach Ende ihres Dienstes, gegen vier, von zu Hause aus.
    Mit dem Rest der Zigarette blieb Larissa auf ihrem kleinen Balkon stehen. Sie inhalierte tief den guten Cocktail aus Suchtstoffen, Fahrbahnbelag und künstlichen Aromen. Dann blies sie den Rauch in die kalte Luft.
    Von hier aus hatte sie einen herrlichen Blick auf den nordöstlichen Teil des Geländes, das das Sonnenweiß-Stift auf allen Seiten umgab: Ein weitläufiger Park mit vielen schmalen Wegen, Obstbäumen und Sträuchern erstreckte sich zwischen den Gebäuden und dem Zaun, der als Begrenzung zum Wald hin diente. Jetzt, Ende November, konnte sie durch die beinahe kahlen Äste der Laubbäume und die vereinzelten Kiefern hindurch ein paar dunkelrote Dächer sehen. Sie gehörten zu Lauffen. Das Pflegeheim stand auf dem höchsten der Hügel, die die Kleinstadt im Tal umgaben und die in dieser Gegend gewöhnlich für Weinstöcke reserviert waren.
    Der Holzzaun, der den Gebäudekomplex weiträumig umgab, diente vor allem als Barriere für mehr oder weniger desorientierte Heimbewohner. Im Park innerhalb des Zaunes waren die Wege mit Steinplatten ausgelegt. Hier flanierten bei schönem Wetter die rüstigen Bewohner des Hauses oder setzten sich auf eine der zahlreichen Bänke. Wer nicht mehr so gut zu Fuß war, einen Gehwagen vor sich her schob oder im

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