Graue Schatten
wahrscheinlich nur sehen, wenn er sich auf die Brüstung aus weißen Steinsäulen lehnte, die seine Terrasse umsäumte. Wahrscheinlich. Ob es wirklich so war, ließ sich von hier aus nicht sicher beurteilen.
Trotzdem gab es keine bessere Stelle als diesen Parkplatz an der B27, um Sauseles Haus durch ein gutes Fernglas unauffällig zu beobachten. Die feuchte Kälte musste man eben noch ein paar Minuten ertragen.
Der Mann mit dem Fernglas sah nun, dass das Licht vor Sauseles Villa anging und das Garagentor sich öffnete, noch bevor der Daimler hinter dem letzten Haus auf der rechten Seite hervorkam. Er fuhr in die Garage und das Tor schloss sich hinter ihm.
Kurz darauf wurde es hinter der Glasfassade hell. Der Mann auf dem dunklen Parkplatz konnte in Sauseles Wohnung wie in eine Puppenstube sehen. Der Geschäftsmann ließ die Jalousien wohl erst herunter, wenn er ins Bett ging. Auch die Vorhänge waren offen. Es schien ihm egal zu sein, dass es von hier aus möglich war, in sein Haus zu sehen.
Vielleicht war er aber auch ein bisschen exhibitionistisch veranlagt und genoss es sogar, wenn ein potentieller neidischer Spanner von der anderen Seite des Tales aus den Luxus im Wohnzimmer seiner zweihundert Quadratmeter großen Puppenstube beglotzte. Vielleicht war er aber einfach nur leichtsinnig. Immerhin konnte jemand auf die Idee kommen, von hier aus auszukundschaften, was es so zu holen gab, und dann, wenn der Hausherr mal im Urlaub war, die Alarmanlage des Hauses auszutricksen. Das war aber nicht die Absicht des Beobachters, der nun konzentriert verfolgte, was sich hinter der Glasfassade tat.
Sausele hatte durch den mediterranen Eingangsbogen sein Wohnzimmer betreten und schaltete nun wohl seinen Flachbildschirmfernseher ein. Das große Licht ging aus, ein kleineres, violett flackerndes, an. Der Hund war schon in die offene Küche im hinteren Teil des Raumes abgebogen. Sausele folgte ihm. Vermutlich bekam das Tier dort sein Fresserchen. Der Mann am Fernglas sah ihn hinter der Küchenzeile und dem hohen Tisch mit den Barhockern hantieren. Er besah sich die Einrichtung: weiße Wände mit großen Bildern, antike Möbel, ein offener Kamin in der Ecke, hohe Lautsprecherboxen.
Nach einer Weile kam Herrchen mit einer Flasche Wein und einem Glas zurück. Er stellte es auf einen Beistelltisch und schenkte ein. Es schimmerte samtig Rot. Er wollte sich wohl gerade in den großen Ledersessel setzen, als er offensichtlich erschrocken verharrte und zum Torbogen zwischen Flur und Wohnzimmer sah. Der Hund kam aus der Küche und bellte. Das war deutlich zu erkennen, auch ohne Ton. Sausele ging hinaus und telefonierte. Sichtlich verstört kam er nun zurück.
Er hatte einfach aufgelegt, der Sack! Noch mal versuchen!
Sein Telefon klingelte erneut.
Im Auto des Beobachters auf dem einsamen Parkplatz tutete aus einem Handylautsprecher das Freizeichen. Sausele ging nicht mehr ran. Er trank gegenüber, in seiner Riesenpuppenstube das Glas Rotwein in einem Zug leer. Dann drückte er wohl auf eine Fernbedienung. Langsam fuhren die Jalousien nach unten.
Das Letzte, was von Sausele durch das Fernglas zu sehen war, bevor die Fensterläden ihn verdeckten, war sein entsetzter Gesichtsausdruck, als er wohl die Stimme erkannt hatte, die nun nach dem Piepton eine Nachricht auf den Anrufbeantworter sprach. Der Mann stand wie hypnotisiert mitten in dem großen Raum und schien zu warten, was das beängstigende, niederträchtige Individuum ihm zu sagen hatte. Das, was gerade, selbst aus der Distanz, nur durch ein paar starke Linsen auf zehn Schritte herangezoomt, in Frieder Sauseles Augen zu sehen war, konnte nur eins bedeuten: pure Angst.
Dienstag
Der November ist ein übler Monat, fluchte Frieder Sausele innerlich. Man sollte bei dem Mistwetter drin bleiben. Aber Wotan war nun mal seinen Morgenspaziergang gewöhnt. Wehe es ging nicht pünktlich los, dann spielte das Tier verrückt. Und heute gab es ohnehin noch etwas Zusätzliches zu erledigen. Danach würde das Kapitel endgültig abgeschlossen sein.
Der Boxer zog an der Leine, weil er irgendein Tier gewittert hatte. Sausele mahnte ihn zur Ruhe. Ein wenig nervös schaute er auf die Armbanduhr. Viertel vor acht und noch so dunkel! Wenn jetzt Schnee liegen würde, wäre es wenigstens ein bisschen heller in diesem verdammten Busch! Auf den Wiesen hinter dem Haus ging es ja noch. Aber hier im Wald konnte es einem heute doch ein bisschen mulmig werden. Und es war wieder ungemütlich frisch, um die
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