Graue Schatten
dass Renate ihr Team noch mal an die Schweigepflicht erinnern sollte. Auch mit Verdächtigungen sollten sie sich zurückhalten. Die Polizei habe viel Staub aufgewirbelt, das sei nun mal ihr Job. Aber alles würde sich aufklären. Renate verkündete, auffallend laut, dass hier niemand irgendwen wegen irgendwas verdächtigte.
Der Krankenpfleger schob seinen Pflegewagen auf den Gang. Er hörte Stur immer noch mit der Chefin reden, konnte aber nichts mehr verstehen.
„Herr Linde?“, erklang die rauchige Stimme des Pflegedienstleiters plötzlich hinter ihm auf dem Flur. Kevin drehte sich um. Stur kam auf ihn zu. „Auch bei Ihnen so weit alles klar?“
„So weit, ja.“
„Sie sehen wirklich übernächtigt aus. Die drei freien Tage nach dem Nachtdienst waren doch ein bisschen wenig, denke ich.“
„Geht schon. Hab ja gleich wieder ein freies Wochenende.“
„Na ja, trotzdem. Wenn Sie nächste Woche ein paar Tage freinehmen wollen, zum Erholen ... In den letzten Wochen war es ziemlich eng. Sie wissen ja, die Grippewelle.“
Was heißt ‚in den letzten Wochen‘?, dachte Kevin. Dass sie gut besetzt waren, kam doch kaum vor.
„Ich habe gerade mit Frau Stiegler drüber gesprochen“, fuhr Stur fort. „Nächste Woche ließe sich da was machen.“
„Die macht sich immer solche Sorgen. Ich bin okay.“
„Nein, nein. Frau Stiegler hat nichts geäußert. Mir selber ist es wichtig, dass Sie sich nicht überfordern. Ihre Nachtdienste waren ja durchaus etwas kräftezehrender, als das die Nachtwachen sonst gewöhnt sind.“
„Ich habe im Krankenhaus gearbeitet, Herr Stur. Unter anderem auf der Intensivstation“, erinnerte Kevin lächelnd den Pflegedienstleiter.
„Ich weiß, Sie stecken das weg. Sie haben ja auch wie immer Ihre Kompetenz bewiesen, wie ich bereits sagte.“ Der Pflegedienstleiter klopfte Kevin auf die Schulter und fügte hinzu: „Haben Sie es sich mit dem Wechsel in den Nachtdienst überlegt?“
Er verneinte. Dass er sowieso ganz andere Pläne hatte, würde er sicher nicht jetzt mit Stur besprechen.
Der Pflegedienstleiter erwähnte noch, dass Herr Einsiedel, der Diakon, heute im Haus sei. Stur glaubte, seinen Worten nach, kaum, dass Kevin mit ihm sprechen würde, aber er wollte ihm die Information nicht vorenthalten. Er verabschiedete sich und lief in Richtung Treppenhaus, geradewegs Irene in die Arme, die schon laut plappernd mit der ersten Bewohnerin am Arm auf den Aufenthaltsraum zusteuerte.
Das Lob des Pflegedienstleiters gab Kevin ein wenig Auftrieb für die anstrengenden Morgenstunden. Wenigsten einer, der merkt, was sie hier an mir haben, dachte er.
Er versorgte wieder zuerst Frau Schmidt mit zwei Minuten Aufmerksamkeit und Smalltalk, schob sie in ihre Nasszelle und ging dann zu Herrn Becker ins Zimmer.
Der alte Herr hatte Alzheimer, war aber ganz umgänglich. Heute war er sogar richtig gut gelaunt, als er Kevin erblickte. Der Pfleger führte ihn ins Bad, setzte ihn auf der Toilette ab, drückte ihm den Waschlappen in die Hand und ging zurück ins Zimmer, um das Bett zu machen.
Es klopfte. Larissa kam herein.
„Soll ich dir jemanden abnehmen?“, fragte sie.
„Nee, wieso?“
„Du hast ja heute Frau Rabe drin, statt der Müller. Die habe ich gestern gemacht. Ich habe heute eine weniger zu waschen.“
„Was wollt ihr heute alle? Stur will mir plötzlich freigeben, Renate interessiert sich für Betti, weil du ihr irgendwas erzählt hast, und jetzt kommst du mit ‚jemand abnehmen‘. Das mit dem Urlaub nächste Woche werde ich mir ernsthaft überlegen, aber meine Leute schaffe ich schon alleine. Danke trotzdem.“
Kevin zog im Bundeswehrtempo das Laken von Herrn Beckers Bett glatt, wirbelte Deckbett und Kopfkissen vom Stuhl, wo sie zum Auslüften hingen, zurück ins Bett, und brachte sie in die gewünschte Tagesform, während hinter ihm Larissa weiterredete.
„Was wir wollen? Du hattest viel Stress in letzter Zeit. Und das sieht man dir an. In den letzten Tagen ist einiges zusammengekommen. Die anderen machen sich Sorgen um ihren besten Pfleger, und ich um meinen besten Freund. Das wollen wir.“
„Sorgen? Was schwätzt du da?“ Kevin war mit dem Bett fertig und stand Larissa gegenüber.
Sie durchbohrte ihn mit einem Blick, um den sie jeder Klingone beneidet hätte. „Guck dich doch mal an. Du siehst aus wie der Tod. Gestern schon und heute noch schlimmer. Hast du mit Locke zusammen wieder die Probleme runtergespült oder dein Hirn mit seinem Haschischzeugs
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