Graue Schatten
Wochenende erledigt sein würde. Leider meldete der geheime Berater in seinem Hinterkopf Bedenken an. Er konnte sie nur noch nicht definieren.
„Ach, und der Herr Linde soll bitte gleich die Dokumentationsakte, oder wie das heißt, von Frau Müller mitbringen“, fiel ihm noch ein.
Stur nickte und blieb in der geöffneten Tür stehen. „Eine Bitte noch: Könnten Sie Frau Kirchner besonders behutsam befragen? Sie ist sehr sensibel. Sie war heute Morgen schon regelrecht aufgelöst, als man Frau Müller nicht gefunden hatte.“
„Keine Sorge. Wir stellen uns auf unsere Gesprächspartner ein. Übrigens wird das auch für die anderen Mitarbeiter nicht sehr angenehm werden.“ Strobe zögerte einen Moment. „Am besten sagen Sie Ihren Leuten, dass das eine reine Routinebefragung ist. Mehr oder weniger wird es das ja auch.“
Während Stur mit gesenktem Kopf das Büro verließ, holte Strobe sein Handy aus der Mantelinnentasche, tippte eine Kurzwahltaste, hielt sich das winzige Gerät vor die kurzsichtigen Augen, um zu erkennen, ob er auch die richtige Nummer gewählt hatte, und sagte: „Ich sollte mal geschwind Meldung bei Bacchus machen, sonst erklärt er uns für vermisst.“
Während er am Fenster stand und mit dem Chef telefonierte, blätterte Schell weiter in der Akte der am vergangenen Sonntag verstorbenen Marta Sausele.
Strobe teilte Kriminaloberrat Bachmüller zuerst die voraussichtliche Todesursache von Frieda Müller mit, dann, dass Schmidtke ein Hämatom entdeckt hatte, welches nicht vom tödlichen Sturz stammte, dessen Ursache aber noch nicht geklärt war. Schweren Herzens erwähnte er auch, dass es in den letzten zehn Nächten drei weitere Todesfälle gegeben hatte, bei denen immer derselbe Pfleger anwesend gewesen war, zwei davon mit nichtnatürlicher Todesursache. Auf die Frage des Chefs, welche der Verstorbenen schon beerdigt worden seien, antwortete Strobe das, was er in den Akten gelesen hatte:
„Nur die letzte Tote ist noch nicht unter der Erde, sie soll aber verbrannt werden.“
„Wenn das nicht schon passiert ist“, murmelte Schell.
Als Strobe „Okay, ich warte“ sagte, das Handy vom Ohr nahm und leise fluchte, schaute Schell kurz von seiner Akte hoch. „Was gibt's?“, fragte er neugierig.
„Wahrscheinlich Ärger und Überstunden. Der Chef sitzt gerade mit Staatsanwalt Jung zusammen.“
Er drehte sich von Schell weg wieder zum Fenster, hielt das Handy ans Ohr und wartete. Draußen, auf dem Gehweg, gingen gerade einige dick eingepackte Menschen vorbei. Sie kamen vom Haupteingang und liefen in Richtung Parkplatz. Pflegekräfte, die Feierabend haben, vermutete Strobe.
Dann begann die Stimme aus dem Lautsprecher des Handys wieder zu reden. Strobe runzelte nur die Stirn und machte ein paarmal „Hm“.
Als er aufgelegt hatte, sagte er zu Schell: „Da sieht man es wieder: Neue Besen kehren gut. Jung hat angewiesen, dass die letzte Verstorbene, die vom Sonntag, auch obduziert wird.“
„Marta Sausele.“ Schell zeigte auf die Akte, die aufgeschlagen auf seinen Beinen lag.
„Gerade die war an Herzversagen gestorben! Wenn wir hier fertig sind, dürfen wir noch zu den Angehörigen und zu dem Bestattungsunternehmen fahren und denen die Hiobsbotschaft überbringen. Das zum Thema Feierabend.“
Schell blätterte in seiner Akte und stellte fest: „Nächster Angehöriger ist der Sohn: Frieder Sausele. Wohnt hier in Lauffen, Im Geigersberg 32.“
„Wenigstens ein Lichtblick. Trotzdem muss ich nach den Befragungen hier erst mal was essen, sonst schwätzt mir mein Magen ständig rein. Und, irgendwas Verdächtiges entdeckt in deiner Akte?“, fragte Strobe, als er sah, dass Schell wieder zurückblätterte und eifrig weiterlas. Er erwartete nicht wirklich, dass sein Bub tatsächlich etwas aus der Akte herauslesen würde.
„Keine Ahnung, ob das was zu bedeuten hat“, antwortete Schell. „Hört sich aber interessant an: Dieser Marta Sausele wurde noch Stunden vor ihrem Tod, genauer, am Sonntagnachmittag um drei, Morphium gespritzt.“
Hört sich wirklich interessant an, muss aber gar nichts heißen, dachte Strobe. Doch außer seinem Hunger verstärkte sich noch ein anderes Gefühl in seinem Bauch: Der Fall würde womöglich doch nicht so schnell abgeschlossen werden.
Freitag
Die Stimmung im Schwesternzimmer war an diesem Morgen gedrückt. Die Einzige, die anfänglich noch mehr redete als sonst, war Irene. Sie hatte gestern frei gehabt und wollte natürlich heute alles wissen, bis ins
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