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Graue Schatten

Graue Schatten

Titel: Graue Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Nimtsch
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vernebelt?“
    „Spinnst du?“ Kevin verlor nur einen Augenblick lang die Beherrschung. Dann entgegnete er ruhig: „Ich bin kein Alkoholiker und werde auch nie einer werden, wenn du das meinst. Dazu fehlt mir die Veranlagung. Und von einem Joint im Monat wird man auch nicht süchtig. Und was den gestrigen Abend betrifft, da habe ich keinen Schluck getrunken und es hat mir nichts ausgemacht. Beruhigt?“
    „Nein.“ Larissa war noch nicht fertig. „Es ist nicht bloß das. Du bist so gleichgültig.“
    „Das sagtest du heute Morgen schon“, erinnerte sich Kevin. Er wollte an ihr vorbei ins Bad gehen. Doch als er merkte, wie aufgewühlt sie war, blieb er stehen.
    In dem Moment schien bei Larissa ein Damm brechen, und was sich dahinter angestaut hatte, über Kevin zu ergießen. „Wenn dich nicht mehr interessiert, was Betti so treibt, okay kann ich verstehen. Obwohl da zwischen euch irgendwas gelaufen sein muss, von dem ich nichts weiß. Aber das geht mich vielleicht nichts an. Bloß, dass du so tust, als würde dich alles kaltlassen, was in den letzten Tagen passiert ist, das kann doch nicht sein!
    Gestern, als Stur nach der Übergabe reingekommen ist und mitgeteilt hat, dass Frau Müller tot ist, das war für alle ein Schock. Obwohl wir es schon geahnt hatten. Anna ist bleich wie eine Kalkwand geworden. Und als dich Stur mit dem Dienstplan und der Doku von der Müller in sein Büro runter zum Verhör geschickt hat, da muss dir doch mulmig gewesen sein. Ich hab mich gefühlt wie vorm Zahnziehen. Und dann warst du über eine halbe Stunde unten. Bei mir waren es zehn Minuten. Und du kommst wieder hoch und machst Witze über die Polizisten!“
    „Ich bin nun mal kein Kind von Traurigkeit.“
    Larissa ignorierte Kevins Bemerkung. „Keinen haben sie so lange verhört wie dich. Nur bei Anna hat es eine Viertelstunde gedauert, weil sie noch genau erzählen musste, wo sie überall gesucht hat.“
    „Das musste ich auch haarklein darlegen.“
    „Aber die Fragen, die sie mir gestellt haben ... Sie wollten alles über dich wissen: Ob du überfordert bist oder private Probleme hast und so weiter. Sie haben dich doch sicher das Gleiche gefragt? Der eine behauptete zwar, wegen eines anonymen Anrufs werde noch kein Mitarbeiter verdächtigt, aber wieso wollten sie dann alles über dich wissen?“
    Gute Frage! Das war gestern wirklich knapp gewesen, fiel Kevin wieder ein. Bei diesem Verhör hatte er lügen müssen. Aber das war ihm auch recht gut gelungen, wie er meinte.
    Zu Larissa sagte er: „Dass die Bullen mir ein schlechtes Gewissen wegen der Todesfälle einreden wollten, hab ich natürlich mitgekriegt. Aber irgendwann hatten sie begriffen, dass sie sich verrennen. Quincy spielen wollen, aber keinen Schimmer von Medizin haben, das geht halt nicht. Und wenn eine hysterische Angehörige ausflippt und haltlose Verdächtigungen ausstreut, kann ich auch nichts dafür.“
    Larissa schaute ihn skeptisch an.
    Er redete weiter: „Die ganzen plötzlichen Todesfälle und die Bullen, das ist auch nicht gerade die Abwechslung, die ich mir gewünscht habe. Aber was soll ich machen? Depressiv werden?“
    „Nein, aber mit deinen Freunden reden. Ich meine, nicht nur mit deinem Saufbruder.“ Sie winkte überraschend ab, drehte sich um und marschierte aus dem Zimmer.
    „Okay, Lara, lass uns heute Nachmittag reden. Auch über Betti, wenn du willst“, rief Kevin ihr noch hinterher.
    Er ging zu Herrn Becker ins Bad. Der saß immer noch mit dem inzwischen kalten, nassen Waschlappen über der Hand auf dem Klo, so wie am gestrigen Morgen Frieda Müller, und stierte gedankenverloren die Fliesen an. Die drei Minuten, die Kevin mit Larissa verquatscht hatte, holte er durch eine verkürze Katzenwäsche wieder herein. Herrn Becker störte das wenig. Nach der Rasur schüttete Kevin dem Herrn dafür etwas mehr Rasierwasser in die hohle Hand. Das würde mögliche üble Gerüche übertünchen. Der Alte begriff heute sogar sofort, was er mit der Pfütze in seiner Hand tun sollte. Er verteilte den scharf duftenden Alkohol aus der weißen Flasche genüsslich auf seinem Kinn und den Wangen.
    Draußen im Aufenthaltsraum drückte ihm Kevin noch eine drei Wochen alte Zeitung in die Hand, die Herr Becker gewohnheitsmäßig aufschlug, um sich die Bilder anzuschauen, die für ihn jeden Tag brandneu waren.
    Auch sonst ging an diesem Morgen alles glatt. Fünfzehn Minuten vor dem Frühstück saß Kevin bereits im Schwesternzimmer und erledigte seine

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