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Graue Schatten

Graue Schatten

Titel: Graue Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Nimtsch
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Detail. Wie immer kommentierte sie die Neuigkeiten ausführlich. Aber die drei, die den gestrigen Tag im Heim miterlebt hatten, waren dermaßen kurz angebunden und missgelaunt, dass Irene sich schließlich gar nichts mehr zu fragen traute.
    Renate versteckte sich von Anfang an hinter der offenen Tür des Medikamentenschranks – und hinter der Behauptung, sie müsse sich auf das Verteilen der Medikamente konzentrieren. Gestern Nachmittag, als Kevin nach seiner Befragung noch einmal kurz auf Station heraufgekommen war, um Anna in Sturs Büro zu schicken, da hatte Renate immerhin noch wissen wollen, was ihn die Polizei gefragt hatte. Heute Morgen war sie praktisch abwesend.
    Aus Kevin war um diese Zeit sowieso noch nichts Vernünftiges rauszukriegen. Das einzige, was er sich entlocken ließ, waren irgendwelche Pseudo-Gags über die beiden Kripobeamten, die gestern da gewesen waren, und die er „Derrick und Harry“ nannte.
    So wandte sich Irene Larissa zu, die schließlich den Wissensdurst der Neugierigen stillte. Aber auch sie schilderte die Geschehnisse eher einsilbig und äußerst lückenhaft. Auf die Kommentare und Vermutungen Irenes hin zuckte sie nur mit den Schultern, nickte zerstreut oder reagierte gar nicht.
    Anna war nicht zum Dienst erschienen. Ihre Mutter hatte Punkt halb sieben angerufen und mitgeteilt, dass ihre Tochter Migräne habe.
    So war es mittlerweile, nachdem sie die Übergabe der Nachtwache schnell durchgezogen hatten und Tom gegangen war, schon so weit gekommen, dass die Unterhaltung ganz verebbte. Vom Klappern der Pillen, die hinter der Medikamentenschranktür in die Plastikbecher fielen, und von den an anderen Geräuschen, die Renate dort machte, abgesehen, herrschte Stille.

    Irene muss meinen, dass hier alle unter Schock stehen, dachte Kevin. Keiner will sich mit ihr über das plötzliche Ableben der Müller, den mysteriösen Anruf oder gar über die Bullen unterhalten. Was ist bloß los hier?, fragte er sich.
    Irenes Mund rotierte zwar manchmal schneller als ihre Festplatte, aber im Grunde meinte sie es immer gut. Auch jetzt wollte sie doch nur bestätigt wissen, dass die arme Anna nicht an dem Unglück gestern schuld und dass dieser böse Anruf bei den Bullen ein übler Streich gewesen war. Aber sie bekam nur kurze, halblebige Antworten. Alle brüteten vor sich hin. Vielleicht nahm Irene das sogar persönlich, obwohl sie dazu natürlich keinen Grund hatte. Fakt war, dass sich zumindest Renate gerade auch ihm gegenüber an diesem Morgen deutlich distanziert verhielt. Außer einem förmlichen „Guten Morgen“ hatte sie heute noch nichts zu ihm gesagt. Und das war sehr ungewöhnlich.
    Bei Larissa war Kevin sich nicht so sicher. Sie war total durcheinander, weil Betti sich auch gestern nicht bei ihr gemeldet hatte und auf ihrem Handy nicht zu erreichen gewesen war. Sie hatte ihm heute Morgen als Erstes vorgeworfen, er sei gleichgültig und würde sich abkapseln. Und das nur, weil er gestern nicht ans Telefon gegangen war! Das war nicht fair von ihr. Obwohl es tatsächlich egal war, was Betti gerade für ein Problem hatte. Warum sollte er sich noch dafür interessieren? Sie war es gewesen, die am Sonntag die Entscheidung getroffen hatte, die sowieso schon lange überfällig gewesen war.
    Und gestern Abend hatte es ihm einfach gereicht. Nachdem auch er seinerseits vergeblich versucht hatte Locke anzurufen, hatte er das Telefon leise gestellt. Er hatte auf der Couch die Füße ausgestreckt und sich bis spät in die Nacht einen Actionfilm nach dem anderen reingezogen. Einfach um sich abzulenken, nicht ständig an das ganze Affentheater denken zu müssen. Danach hatte er nicht einschlafen können. Und als er doch endlich eingeduselt gewesen war, hatte er wieder einen dieser Albträume gehabt, vom Schattengrau und von toten – oder vielmehr untoten – Bewohnern. Schweißnass hatte er im Bett gelegen, als ihn das Klingeln des Schwesternnotrufes Viertel vor sechs geweckt hatte. Er hatte ein paar Minuten gebraucht, um zu realisieren, dass der schrille Lärm von seinem Wecker ausging. Äußerst lästig das Ganze!
    „Also ich fange jetzt an, wenn es nichts mehr zu bereden gibt“, meinte Irene plötzlich und stand auf. Kevin verkniff sich gerade noch anzumerken, dass sie soeben einen vielversprechenden Rekordversuch im gemeinsamen Dauerschweigen abgebrochen hätte. Auch Larissa erhob sich, schaute kurz auf die Pflegetafel, warf Kevin einen vielsagenden Blick zu und folgte Irene nach

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