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Graue Schatten

Graue Schatten

Titel: Graue Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Nimtsch
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zeigte, zogen sie dann ihr Ass aus dem Ärmel: Das zweite Obduktionsergebnis. Was er dazu sage, dass Frau Sausele an Sauerstoffmangel, nicht an Herzversagen gestorben war, hatte der Alte wissen wollen. Wie hieß er noch, Strohbacke oder so ähnlich? Na gut, die Überraschung war gelungen.
    Kevin hatte erst mal nichts erwidern können, weil er plötzlich Ohrensausen bekommen hatte. Genau in jenem Moment, als er sich hätte konzentrieren und exakt überlegen müssen, was er sagen würde. Gerade da war ihm das Blut durch Kopf und Ohren gebraust wie ein Tornado. Das war ihm noch nie passiert. Einen Moment lang hatte er den nächtlichen, düsteren, langen Flur vor sich gesehen, so wie in seinen Albträumen. Er war nicht in der Lage gewesen zu antworten.
    Auf diese Reaktion schien der Bulle gewartet zu haben. So, wie die Befragung weiter verlaufen war, hätte man meinen können, dass für den Alten schon festgestanden hatte: Die Sausele war umgebracht worden und er verhörte gerade den Mörder. Kevins Schweigen und dass er vielleicht ein bisschen überrascht und verwirrt ausgesehen hatte, musste Derrick wohl als Geständnis gewertet haben.
    Er hatte dann in einem äußerst mehrdeutigen Ton behauptet, Kevin wisse sicher, was dieses Obduktionsergebnis zu bedeuten habe. Da hatte Kevin einen Fehler gemacht: Er hatte mit Nein geantwortet. Reflexartig hatte er gelogen, und das hatten die Bullen sofort gemerkt. Und das nur, weil er sich einen Moment nicht konzentriert hatte! Wegen dieses verdammten Ohrensausens und weil er zu sehr mit dem Gedanken beschäftigt gewesen war, dass er in dieser Sonntagnacht etwas getan hatte, dessen Auswirkungen er falsch eingeschätzt hatte.
    Derrick Strohbacke hatte ihn dann unter Druck gesetzt, so getan, als wisse er alles. Hatte abstruse Behauptungen aufgestellt. Kevin hatte nichts mehr geantwortet, allenfalls noch mit dem Kopf geschüttelt.
    Daraufhin hatte der Bulle gemeint, Kevin müsste sich natürlich nicht dazu äußern, aber er würde verdächtigt, mehrere Bewohner des Sonnenweiß-Stifts getötet zu haben. Er habe die Gelegenheit dazu gehabt, den Tod der Personen herbeizuführen, bei Marta Sausele sogar als Einziger. Und im Fall Sausele komme auch noch das Fehlen der Diazepam-Ampulle hinzu. Als Motiv komme Überforderung in Frage. Andere Mitarbeiter hätten bestätigt, dass er oft mit den strengen Arbeitsabläufen, mit dem Zeitmangel und mit dem Leid der Schwerkranken nicht zurechtkomme. Außerdem würde er aktive Sterbehilfe befürworten – und zufälligerweise hätte Frau Sausele sterben wollen. Es sei auch bekannt, dass er sich nie mit Kollegen ausspreche, was seine eigenen Probleme betraf. Weder die privaten, noch die beruflichen. Er würde alles mit lockeren Sprüchen überspielen, sich hinter der Maske des coolen Typen verstecken.
    Die netten Kollegen!, dachte Kevin. Aber das mit der Sterbehilfe, das konnte ja nur Locke gewesen sein. Der Drecksack.
    Jedenfalls müssten sie ihn vorläufig festnehmen, hatte der alte Strohbacke salbadert. Und es sei besser für ihn, wenn er unauffällig mitgehen würde, er könne ihm anderenfalls auch gleich Handschellen anlegen.
    Er durfte sich dann noch umziehen. Seine Arbeitsschuhe hatten sie in eine Tüte gesteckt und mitgenommen.
    Als er aus dem Umkleideraum im Keller getreten war, war ihm ernsthaft die Idee gekommen, das Ganze könnte ein Scherz sein. Er sei vielleicht Teil einer Reality-Fernseh-Show. Auf MTV lief doch gerade so eine Serie, Scare Tactics oder so ähnlich. Da wurden die Leute mit Hilfe der eigenen Freunde echt fies reingelegt. Frühere Kumpels von ihm könnten dort angerufen haben. Ihm fielen einige ein, denen er das zutrauen würde.
    Erst später, auf dem Rücksitz des Streifenwagens, wurde ihm bewusst, dass der Gedanke an eine versteckte Kamera nur eine Schutzreaktion seines Unterbewusstseins gewesen war. Er wollte es nicht wahrhaben, dass er, vielleicht das erste Mal in seinem Leben, so richtig bis zum Hals im Dreck steckte!
    Auf der Polizeidirektion wurden dann seine Personalien festgestellt. Er wurde durchsucht wie ein Schwerverbrecher, der er ja offensichtlich auch war. Sie nahmen seine Fingerabdrücke, machten Fotos, und er musste alles abgeben, womit er sich das Leben nehmen könnte.
    Als die Zellentür hinter ihm zuging, überlegte er, ob er einen Anwalt anrufen sollte. Er verwarf den Gedanken wieder. Der würde viel Kohle wollen. Sicher einen größeren drei- oder vierstelligen Betrag, wahrscheinlich gleich einen

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