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Graue Schatten

Graue Schatten

Titel: Graue Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Nimtsch
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verlassen hatte.
    Eine echte Gefängniszelle, dass er das noch erleben durfte. Mit weißen Wänden, fäkalbraunem PVC-Fußboden, Pritsche, Holztischchen und Hocker. Und das obligatorische, hässliche, unappetitliche Klo hinter der eher symbolischen Trennwand. Sogar einen Klingelknopf gab es neben der Tür. Wie im Pflegeheim. Auch der Geruch war ähnlich. Eine Mischung aus Schweiß, Fäkalien Desinfektions- und Putzmittel.
    Nachdenken sollte er. Das tat Kevin schon eine ganze Weile. In Handschellen auf dem Rücksitz des weiß-grünen Passat Kombi, auf der Fahrt hierher, hatte er dazu schon Zeit gehabt.
    Doch zuerst war wirklich nur Leere im Kopf gewesen. Dann war ihm plötzlich ein Wort eingefallen, das auch in der Terminologie seines Jobs vorkam: Freiheitsentziehende Maßnahmen. Das war aber in der Altenpflege etwas anderes, hatte er gedacht. Oder doch nicht? Er hatte sich gefragt, mit welchem Recht jemand fixiert würde, der anderen keinen Schaden zufügte. Ihm war zwar keine befriedigende Antwort eingefallen, aber von diesem Moment an war er wieder in der Lage gewesen zu denken.
    Wer hat mich angeschissen?, war die nächste Frage, die er sich stellte. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder Angehörige von jemandem, der während seiner Schichten verstorben war, oder – seine Ex! Eine dieser Personen musste bei den Bullen angerufen und behauptet haben, ein gefährlicher Wolf im Schafspelz befinde sich inmitten der heiligen Herde der Bewohner und Mitarbeiter des Albert-Sonnenweiß-Stifts und treibe dort sein Unwesen. Was genau die mysteriöse Anruferin gesagt hatte, wollten die Bullen ja leider nicht verraten.
    Wobei, dachte er weiter, die Tochter der Müller hatte er überhaupt noch nicht zu Gesicht bekommen. Die Frau war am Dienstag eingezogen, Mittwoch war der Anruf bei den Bullen eingegangen. Die Frau schied praktisch aus. Die Angehörigen der anderen drei kannte er alle gut, zumindest die, die ihre Omis und Mütter oder den Vater besucht hatten. Von denen traute er keinem so was zu. Außerdem, was hätten die davon, Kevin so reinzureiten? Bei der Sausele war der Sohn ohnehin der Einzige von der Sippe, der je seine Mutter besucht hatte.
    Beweisen konnte ihm sowieso keiner was, dachte er. Es war alles einwandfrei dokumentiert. Und der Grundsatz, im Zweifel für den Angeklagten, galt ja auch noch. Aber so weit würde es sicher nicht erst kommen. Die würden ihn morgen wieder rauslassen müssen.
    Als er sich dann wieder in der tristen, unnatürlich hell erleuchteten Zelle umschaute, überkamen ihn aber plötzlich Zweifel. Innerhalb von wenigen Sekunden lief in Kevins Kopf noch einmal die vergangene Stunde ab. Sie war so unwirklich gewesen. Er hatte gar nichts empfunden. Weder Wut auf die Bullen wegen der plötzlichen Freiheitsberaubung, noch Scham vor den Mitarbeitern. Er hatte sich gefühlt, als würde er als Zuschauer direkt und körperlich durch die morbide Handlung eines surrealen Films geführt.
    Nachdem der Leitbulle vorhin im Heim auf Station das Fehlen der Diazepam-Ampulle festgestellt hatte, war er gleich zu Bodo gelatscht. Danach hatte er Renate angerufen. Als klar war, dass keiner von beiden die Ampulle aus dem Giftschrank genommen hatte, war die bescheuerte Fragerei wieder losgegangen. Die gleichen Fragen wie am Vortag. Hatte der Altbulle schon Alzheimer?
    Wie die Nacht vom Sonntag zum Montag abgelaufen war, wollte er wissen, ob Kevin Probleme mit den plötzlich Verstorbenen gehabt habe, ob er an der Absturzstelle der Müller gewesen sei, ob die Müller vorher, im Haus, schon gestürzt sei. Und so weiter. Was hätte er anderes tun sollen, als lapidar darauf hinweisen, dass das alles dokumentiert war?
    Dann hatten sie ihm vorgehalten, dass die verunglückte Müller ein Hämatom hatte, das sich am Morgen, vor ihrem Sturz vom Felsen, durch einen Schlag oder Sturz gebildet haben musste. Was ging das ihn an? Gut, er hatte sie gewaschen. Sie hatte ihm sogar eine geklebt, aber Anna war es gewesen, die die Frau hatte weglaufen lassen. Und sie war mit der Müller ebenso lange allein gewesen wie er.
    Später waren sie ihm mit den Fußabdrücken vom Tatort gekommen, die von Schuhen stammen sollten, wie sie in der Pflege verwendet wurden. Sie waren sich anscheinend nur nicht sicher, ob es Kevins waren. Seine Arbeitsschlappen hatten sie gleich mitnehmen wollen, zum Vergleich. Gut so, das würde also das erste Indiz sein, was sich als falsch erwies.
    Weil er sich nach all dem wohl noch nicht so richtig beeindruckt

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