Graue Schatten
nicht pünktlich fertig werden würde?
Sie hob ab und Hauptkommissar Strobe von der Kripo Heilbronn meldete sich. Er entschuldigte sich für die Störung am freien Wochenende und fragte nach Bettis Adresse. Sie log nicht, als sie sagte, sie habe die Adresse noch nicht. Dass sie sich in einer halben Stunde mit Betti treffen würde, vermutlich in unmittelbarer Nähe der Wohnung ihres neuen Freundes, verschwieg sie instinktiv, ohne dafür einen konkreten Grund zu haben. Der Kommissar redete sowieso gleich weiter. Er wollte wissen, ob sie Hartmut Locke gestern während Kevins Frühstückspause auf Station B gesehen habe.
„Ja“, antwortete sie verwundert.
Der Kommissar schien ebenfalls verwundert zu sein, wirkte irgendwie sogar freudig überrascht, als er fragte, ob sie sich ganz sicher sei.
„Ja. Das weiß ich noch genau. Kevin ist um neun Uhr frühstücken gegangen. Ich hab noch kurz Renate geholfen und wollte gerade in die Pause gehen. Da ist Locke aus dem Schwesternzimmer gekommen.“
„Hatte er etwas in der Hand?“
„Ja, eine Packung Tabak. Er meinte, Kevin würde eine Runde spendieren.“
„Wie wirkte er, als er Sie sah?“
„Ganz normal. Er hat gegrinst, mich gegrüßt. Ich bin noch mit ihm die Treppe runter gelaufen.“
„War er nicht erschrocken?“
„Nein, überhaupt nicht.“
„Danke, Frau Groß. Sie haben mir sehr geholfen.“
Der freundliche Ton des Beamten ermutigte Larissa, sich zu erkundigen, was nun mit Kevin passiere.
„Ich darf leider nicht viel sagen.“ Der Hauptkommissar zögerte kurz und fuhr fort: „Dieser anonyme Anruf könnte sich auf ihn bezogen haben. Und die Verdächtigungen, die die Unbekannte ausgesprochen hat, könnten sich als zutreffend erweisen. Momentan spricht alles gegen Herrn Linde. Machen Sie sich Sorgen um ihn?“
Larissa musste wieder an die unangenehmen Befragungen durch die Kripo an den letzten beiden Tagen denken. „Nein“, antwortete sie, „Ich habe bloß so gefragt. Er ist ein guter Kollege. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er ... so was gemacht haben soll.“
„Ehrlich gesagt, ich auch nicht. Und wir ermitteln in verschiedenen Richtungen. Ich komme auch noch mal mit ein paar Fragen auf Sie zu. Oder ist Ihnen vielleicht inzwischen doch noch jemand aufgefallen, der Ihnen verdächtig vorkommt?“
„Nein, nein“, beeilte sich Larissa zu sagen.
„Also gut. Für heute jedenfalls vielen Dank!“
Zum Glück war der Kripobeamte zufrieden. Sie wünschten sich noch gegenseitig ein schönes Wochenende. Larissa legte auf.
Was war nun wieder mit Locke los? Was hatte der mit dem Ganzen zu tun? ... Das Beruhigungsmittel, das aus dem Giftschrank geklaut wurde ...? Egal jetzt! Es war achtzehn Uhr! Sie musste Gas geben. Sicher konnte ihre Freundin ihr helfen zu verstehen, was da vorgefallen sein sollte. Und was hier überhaupt vor sich ging.
Sie eilte wieder ins Bad und machte sich fertig. Fünfzehn Minuten später saß sie im Auto und raste die Serpentinen hinunter. Zwanzig nach sechs hatte sie getankt und stand mit gezückter Kreditkarte an zweiter Stelle an der Kasse. Sie schaute durch die Glaswand des Shops nach draußen und sieh mal an, wer da gerade hinter ihrem Peugeot an die Zapfsäule fuhr. Aus dem wohl hässlichsten Auto Lauffens stieg der zottelige Typ, der für einige Frauen wohl der hübscheste im Ort war. Allerdings hatte Larissa sich nie in die Verehrerinnen Lockes hineinversetzten können. Für sie war er ein lustiger, schräger Vogel, aber nicht ihre Kragenweite.
„Eine so schöne junge Frau am Samstagabend alleine unterwegs?“, begrüßte er Larissa, als sie aus dem Tankstellenshop kam. Vermutlich hatte er gekifft. Denn obwohl sein bester Freund gestern von der Polizei abgeholt worden war, schien er gut gelaunt wie immer zu sein. Oder wusste er es noch gar nicht? Das war kaum möglich.
„Hi!“, sagte sie kurz.
Eigentlich hatte sie ihn ja ein bisschen ausquetschen wollen. Vor allem interessierte sie brennend, was zwischen Anna und ihm los war. Er hätte sicher einiges zu berichten, was etwas Licht in das düstere Dickicht aus Fragen und ungewöhnlichen Ereignissen bringen würde. Aber sie wollte auf keinen Fall Betti warten lassen. Locke streckte ihr die Hand hin und versuchte, ihr mit schwammigem Blick tief in die Augen zu schauen. Klar ist er bekifft, dachte sie.
„Hab leider keine Zeit, bin verabredet.“ Auch wenn ihr sein Grinsen und überhaupt seine Art in dem Moment irgendwie völlig unpassend erschienen, gab sie ihm
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