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Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Titel: Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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»Wollen wir hoffen, dass du keine ungebetenen Gäste angelockt hast.«
Daryll stand immer noch reglos da, als der Alte einige Schritte auf das dunkle Haus zu machte. Er trug eine zerschlissene Latzhose, die vor Schmutz starrte und ein Baumwollhemd, das an den Armen zerrissen war. Zum klischeebehafteten Abbild eines Südstaatenfarmers fehlte ihm lediglich noch ein alberner Strohhut.
Als er bemerkte, dass Daryll ihm nicht folgte, drehte er sich zu ihm um und ließ einen abschätzenden Blick über den zitternden Körper des Jungen wandern. »Nun komm schon, Jungchen! Es ist in diesen Tagen nicht ratsam, wie eine Zielscheibe in der Gegend herumzustehen.«
Er nickte mit dem Kopf in Richtung Haus.
»Vergiss deine Waffe nicht«, fügte er mit beiläufiger Stimme hinzu, als sei es alltäglich, dass ein dreizehnjähriger Junge mit einer geladenen Magnum unterwegs war. Vielleicht war es in der neuen Zeitrechnung auch so.
Daryll hob die Pistole auf, wischte den Dreck vom verchromten Lauf und steckte sie in den Bund seiner Hose. Seine Hände zitterten immer noch. Die Sicherheit, die er zuvor mit der Waffe gespürt hatte, war verschwunden. Er schulterte seinen Rucksack so, dass er das Gewicht kaum noch spürte. Dann folgte er Murphy. Seine Schritte waren unsicher, die Beine bestanden noch immer aus elastischem Gummi.
Murphy führte ihn am Pick-up des alten Jennings vorbei hinter das Haus, ohne dem Wagen einen Blick zu schenken. Daryll hingegen blieb stehen und starrte durch die verschmutzte Seitenscheibe in die Fahrerkabine. Auf dem Beifahrersitz konnte er ein Buch liegen sehen. Ein Relikt aus einer lange vergessenen Zeit.
»Ist Mr. Jennings auch hier?«
Darylls erste Worte klangen so rau, als hätte er zu viel Whiskey getrunken. Murphy blieb stehen, warf einen kurzen Blick auf den Wagen und murmelte etwas. Dann ging er weiter.
Sie kamen zu einer hölzernen Treppe, passend zur Veranda an der Vorderseite des Hauses. Da die ausgetretenen Stufen stets im Schatten der Bäume lagen, waren sie von einer dünnen Schicht Moosgeflecht bedeckt. Daryll musste sich am verrosteten Eisengeländer festhalten, um nicht auszurutschen. In seine Beine kehrte allmählich wieder Leben zurück. Dennoch spürte er eine Kälte auf seinem Körper, die nicht vom Wind allein herrührte.
Murphy kramte einen altmodischen Schlüssel aus der Brusttasche seiner Hose und steckte ihn ins Schloss. Bevor er ihn herumdrehte, blickte er über die Schulter in den Wald hinein. So verharrte er einige Sekunden, ehe er die Tür mit einem lauten, metallischen Klicken öffnete. Daryll bemerkte, dass das Holz von innen mit einer Stahlplatte verstärkt worden war. Er wurde an die monströsen Türen von Tresoren erinnert.
Murphy schob ihn ungeduldig in die Dunkelheit des Hauses. Dann schlug er geräuschvoll die Tür zu, versperrte sie, wobei er zusätzliche Riegel an der Stahltür benutzte. Dann standen sie in der Dunkelheit und wurden von der schweren Stille erdrückt, die alten, einsam gelegenen Häusern eigen ist.
V
Die Dunkelheit war ein Irrtum. Aus einem der Zimmer, die an den Korridor angrenzten, fiel schwaches Kerzenlicht und tauchte den Flur in milden Schein. Daryll erkannte eine fleckige, teilweise zerrissene Tapete mit altmodischem Blumenmuster. Die knarrenden Bodendielen waren mit einem ausgetretenen Läufer dekoriert. Direkt neben der Stahltür hing ein Garderobenspiegel. Doch Daryll weigerte sich, hineinzusehen. Stattdessen fiel sein Blick auf das helle Rechteck des Türrahmens. Der Kerzenschein hinter dem Holzladen war also doch keine Einbildung gewesen.
Daryll war noch nie in der Wohnung des alten Mannes gewesen, immer nur im Gemischtwarenladen, der sich unter ihnen befinden musste. Dementsprechend unwohl fühlte er sich. Auch wenn die Welt vor die Hunde gegangen war, so blieben doch die angeborenen Verhaltensmuster der Menschen bestehen.
Murphy trat durch die Tür, lehnte sein Gewehr gegen die Wand und winkte Daryll mit einer lässigen Geste herbei. »Komm, Jungchen, du hast sicher Hunger.«
Daryll hatte die Hände in den Taschen seiner Hose vergraben und war verlegen von einem Bein auf das andere getänzelt. Erst jetzt, wo Murphy es erwähnte, spürte er, dass er tatsächlich hungrig war. Seit Mary Janes Verschwinden, hatte er kaum etwas zu sich genommen.
Unsicher folgte er dem alten Mann in den niedrigen Raum. Schwere, gebeizte Balken stützten das Dach und verliehen dem Zimmer eine düstere Atmosphäre. An manchen der Balken hingen Masken aus Porzellan.

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