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Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Titel: Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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und die Stunde kommen, in der Murphy sich die Frage nach dem Sinn von Leben und Sterben stellen würde. Und diese Entscheidung würde nur er selbst fällen können. So wie sie alle in diesem neuen Leben in erster Linie für sich selbst Verantwortung zeichneten.
Als Kagan´s Creek vor ihnen wie ein finsterer Schatten in der Landschaft auftauchte, verlangsamte Wulf die Fahrt und blieb stehen. Die Stadt befand sich etwa eine Meile vor ihnen. Er stieg aus und ging zu Murphy, der hinter dem Pick-up angehalten hatte.
»Du wirst mit Demi hier warten«, sagte er und lehnte sich durch das Seitenfenster in den Wagen. Das Mädchen sah ihn mit ängstlichen, jedoch wachen Augen an. Auf ihrem Schoß lag das Buch, das ihr Murphy bei ihrem Aufbruch gegeben hatte. »Wir wissen nicht, was uns in der Stadt erwartet. Wenn sie so tot wie Devon ist, umso besser. Aber wir sollten keine Risiken eingehen.«
Murphy starrte durch die Windschutzscheibe zur dräuenden Silhouette der Stadt. Normalerweise würde die Luft über den Dächern von der Wärme der Stadt und der Menschen in der Kälte flimmern. Doch Kagan´s Creek lag wie ein toter Fels inmitten der weiten Felder.
»Daryll und ich werden etwas für die Behandlung von Demi holen und dann sofort hierher zurückkommen.« Wulf beugte sich noch tiefer und sah dem Mädchen lächelnd in die Augen. »Du passt mir schön auf unseren Freund hier auf, okay?«
Demi versuchte das Lächeln zu erwidern. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem traurigen Grinsen. Dann erschlaffte ihr Gesicht wieder.
»Wir werden uns beeilen«, wandte sich Wulf wieder an Murphy. »Halte deine Waffe bereit und achte auf alles, was sich bewegt.«
Um dem alten Mann keine Chance zum Widerspruch zu geben, ging Wulf zum Pick-up und stieg ohne einen Blick zurück ein. Murphy und das Mädchen vor der Stadt warten zu lassen, stellte mit Sicherheit keine Notwendigkeit dar. Wulf rechnete nicht damit, dass es in Kagan´s Creek anders aussah als in Devon oder den anderen Städten, durch die er auf seiner Reise gekommen war. Doch er wollte vermeiden, die Psyche des Mannes noch mehr zu belasten. Mit seiner Aufgabe, die Augen offen zu halten und für die Sicherheit des Mädchens zu sorgen, würde Murphy sich von seinen inneren Konflikten ablenken lassen. Und sei es auch nur für die kurze Zeit, in der Wulf mit Daryll in Kagan´s Creek sein würde.
»Am Ende der Stadt, hast du gesagt?«
Daryll nickte ernst. Alles Kindliche war aus seinem Gesicht verschwunden.
»Hör zu, Junge. Es wird sicher nicht leicht für dich. Kagan´s Creek wird nicht mehr so sein, wie du es in Erinnerung hast.«
Mit unbeweglicher Miene zog Daryll seine Pistole aus dem Hosenbund und legte sie auf seinen Knien ab. »Devon ist auch nicht mehr so, wie ich es kannte.«
Wulf dachte über die Worte nach, dann nickte er und legte knirschend den Gang ein. »Du hast die richtige Einstellung, Junge.«
Während sie sich der Stadt näherten, beobachtete Wulf voller Unbehagen, wie der alte Ford von Murphy im Rückspiegel immer kleiner wurde. Er erschien wie ein verrostetes Wrack am Straßenrand, inmitten eines beklemmenden Gemäldes.
II
Kagan´s Creek war wie jede Stadt, durch die Wulf in den letzten Tagen kam: tot, leer und staubig. Dennoch spürte er auch diesmal diese namenlose Bedrohung, die von den dunklen Fenstern, farblosen Gassen und dem mit Sand bedeckten Asphalt der Straße ausging.
Sie fuhren langsam an dunklen Geschäften vorbei, deren Schaufenster wie schwarzer Stein wirkten. Aus einem zerbrochenen Fenster hing eine bunte Gardine und hieß sie mit traurigem Winken willkommen. Ein einzelnstehendes, zurückversetztes Haus war abgebrannt, lediglich der Kamin stach wie ein Mahnmal in den grauen Himmel. Aus den schwarzen Trümmern stiegen dünne Rauchfahnen empor und verloren sich in der Kälte des Tages. Der Gestank von verschmortem Plastik, schwelendem Holz und verrottendem Fleisch wehte zu ihnen hinüber. Ein Körper lag auf dem gelben Rasen des Hauses, schwarz und gekrümmt wie ein Fötus. Wulf fuhr daran vorbei, bevor Daryll einen Blick darauf werfen konnte.
Ein freier, mit altmodischen Pflastersteinen versehener Platz in der Mitte der Stadt war mit bunten Fähnchen und Luftballons geschmückt, die lange schon die Luft verloren hatten und wie bunte, tote Würmer von den Bäumen hingen. Die roten und blauen Wimpel waren mit Schlamm bedeckt, als hätte sie jemand über die Straße gezogen. Wulf sah plötzlich lachende Kinder und schwatzende Frauen und Männer, die sich

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