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Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Titel: Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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formten. Erst als Wulf seine Hand auf ihre legte, fand sie in die Wirklichkeit zurück.
»Dahinter beginnt die Stadt«, sagte sie tonlos und starrte auf die Tür. Sie war mit drei eisernen Riegeln gesichert, die in Kerben im Beton verschwanden.
»Und dieses Stöhnen …?«
Christine sah ihm in die Augen. Der Ernst in ihrem Blick und die Furcht, die ihr Gesicht in eine leblose Maske verwandelte, ließen sie um Jahre altern.
»Infizierte. Sie kommen aus der Stadt bis hierher.«
Vor Wulfs Augen erschien das Bild des alten Harvey, der leblos und steif auf der Veranda seines Hauses stand. Der Gedanke, dass sich nur wenige Meter entfernt, lediglich durch einen Betonwall von ihnen getrennt, mehrere dieser Kreaturen befanden, ließ ihn frösteln.
Christine hatte ihren Arm fest unter seinem eingehakt und hielt sich mit der anderen Hand am Oberarm fest. Sie zitterte.
»Komm«, flüsterte er leise, befreite sich aus ihrem Griff und legte seinen Arm um ihre Schultern. Widerstandslos ließ sie sich von der Mauer wegführen.
Mit jedem Schritt, den sie sich dem Hotel näherten, wurde das unheimliche Stöhnen aus der Stadt leiser, bis es schließlich vom leisen Flüstern des Windes fortgetragen wurde. Christine entspannte sich zusehends. Dennoch nahm er seinen Arm nicht von ihrer Schulter. Er wusste, dass sie im Moment beide die Nähe eines anderen Menschen brauchten.
Während sie langsam in der Mitte der Straße zum Hotel zurückgingen, stieg das Bild von Murphys Freund immer wieder wie ein böser Spuk aus Wulfs Erinnerung auf.
VIII
Am Nachmittag stand Demi vor der Tür von Zimmer Nummer ›3‹ und war unfähig, sich zu bewegen. Das braun gestrichene Holz erschien ihr plötzlich wie eine unüberwindbare Hürde. Sie wünschte sich, sie hätte Dr. Shoemaker am Morgen nicht nach Meg gefragt, doch ihr Gespräch war während der Untersuchung, die der Doktor an Demi durchgeführt hatte, fast von alleine auf die seltsame Fremde gekommen. Aus irgendeinem Grund mochte Demi das Mädchen. Vielleicht war es die Verbundenheit mit ihr, die sie im katatonischen Blick der Fremden las. Meg musste etwas Fürchterliches zugestoßen sein, das ihren Zustand ausgelöst hatte, und Dr. Shoemaker begründete Demis entkräftete und teilweise sogar apathische Art ebenfalls mit einem inneren Schock, der sich wie ein Schutzwall um ihren Verstand aufgebaut hatte und sie vor den Erinnerungen und der Wahrheit, was Boston betraf, gleichermaßen zu schützen versuchte. In gewisser Weise sah Demi in Meg eine Verbündete in dieser Welt, die ihr trotz der um sie befindlichen Menschen fremd und leer erschien. Meg war vielleicht die Einzige, die sie verstehen konnte.
Demi hatte damit begonnen, sich eine eigene, innere Welt zu erschaffen, die mit der Vernichtung um sie herum nicht in Einklang zu bringen war. Dorthin zog sie sich zurück, wenn die Erinnerungen an die Geschehnisse im Krankenhaus in Boston wie brackiges Wasser an die Oberfläche ihrer Gedanken zu steigen drohten. Megs Welt musste noch tiefer in ihr vergraben liegen. Vielleicht lebte das Mädchen sogar komplett in dieser von ihr geschaffenen Illusion und ließ nur ihre leblose Hülle inmitten der Hölle zurück.
Demi hatte Dr. Shoemaker um Erlaubnis gebeten, die Fremde am Nachmittag besuchen zu dürfen. Und jetzt, nachdem der Arzt mit seinem Instrumentenkoffer im Behandlungszimmer verschwunden war, stand sie vor dem Zimmer des Mädchens und schaffte es nicht, die Tür zu öffnen. Sie wusste, dass sie jenseits der Tür eine völlig andere Welt erwartete.
Meg sei nicht verletzt, hatte ihr Shoemaker versichert. Es seien keine größeren, äußeren Verletzungen festzustellen, wobei er das Wort ›äußere‹ auf traurige Weise betont hatte. Es fühlte sich falsch an, zweifelnd vor der Tür zu stehen und Angst vor einem Menschen zu haben, der vielleicht noch Schlimmeres erlebt hatte, als sie selbst.
Ohne sich weiteren Gedanken hinzugeben, die sie früher oder später in ihr eigenes Zimmer zurückgetrieben hätten, drehte Demi den Knauf von Nummer ›3‹ und betrat leise den Raum. Als sie Meg sah, zögerte sie erneut. Sie hatte erwartet, dass das Mädchen schlief, doch Meg saß auf dem Bett, die Füße auf dem Boden und die Hände im Schoß gefaltet. Sie trug ein weißes Nachthemd mit Blumenmuster, das ihr bis zu den Knien reichte. Einer ihrer Füße war bandagiert, der andere nackt.
Das Zimmer machte einen freundlichen und warmen Eindruck. Durch das Fenster fiel bleiernes Tageslicht und verlieh dem altmodischen

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