Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition)

Titel: Graues Land - Die Schreie der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
Vom Netzwerk:
Mobiliar den Charme längst vergangener Jahrzehnte. Auf einem kleinen Tisch gegenüber dem Bett stand ein Blumenstrauß, der allerdings künstlich wirkte, aber dennoch einen bunten Farbtupfer inmitten von leblosem Grau bildete. Demi schloss langsam die Tür, wobei sie Meg nicht aus den Augen ließ, und lehnte sich mit dem Rücken dagegen.
Das Mädchen reagierte nicht. Es saß einfach da und schien mit seinen Gedanken in einer Welt, fern von Mayfield. Jemand hatte sie gewaschen. Die blonden Haare fielen ihr weich in die Stirn.
›Meg ist hübsch‹, dachte Demi, während sie sich mit kleinen Schritten dem Tisch näherte, an dem zwei Stühle standen. Vorsichtig, als könnte er unter ihrer Berührung zerbrechen, zog sie einen der Stühle hervor. Das Geräusch, das dabei entstand, erschien wie das Schaben von Krallen auf Holz. Sie setzte sich und nahm Megs Position ein. So saßen sie eine Weile.
Demi betrachtete die erloschenen Augen des Mädchens und wurde an einen alten Gruselfilm erinnert, in dem die Bevölkerung eines kleinen Dorfes durch leblose Strohpuppen ersetzt worden war. Eine Puppe. Genau das war Meg. Der Gedanke erschreckte Demi, und sie schämte sich dafür.
»Wie …« Ihre Stimme war ein verzweifeltes Flüstern. »Wie geht es dir?«
Demi verschränkte die Hände ineinander und hielt sich an sich selbst fest. Meg reagierte nicht. Ihre Augen blieben leer.
»Wir haben Mayfield erreicht«, fuhr Demi mit behutsamer Stimme fort. Sie wusste, wie inhaltslos ihre Worte klingen mussten. »Es ist schön hier. Und sicher. Ich glaube, hier kann uns nichts passieren.«
Sie verstummte und wartete auf eine Reaktion von Meg. Lediglich das flache Heben und Senken ihrer Brust verriet Demi, dass sie keiner Puppe gegenüber saß. Das Ganze war ihr unheimlich, doch gleichzeitig spürte sie einen tiefen Kloß aus Mitleid in ihrer Kehle, der es ihr unmöglich machte, zu sprechen. Sie blickte auf Megs Hände. Ihre Finger wirkten wie lange, dünne Knochen, die mit bleicher Haut umwickelt waren. Ein Pflaster klebte an einer der Kuppen, wo Shoemaker Blut abgenommen hatte.
Als ihr Blick auf die Füße des Mädchens fiel, erinnerte sie sich daran, in welchem Zustand ihre Schuhe gewesen waren. Meg musste tagelang auf dem Freeway gelaufen sein. Der Doktor hatte ihre Wunden behandelt und mit weißer Mullbinde bandagiert. Dennoch konnte Demi einen winzigen Blutfleck auf dem Stoff erkennen.
»Wo kommst du her?«, fragte sie und beugte sich in ihrem Stuhl so weit nach vorn, dass sie in Megs Blickrichtung saß. »Ich komme aus Boston. Das liegt an der Ostküste.« Sie lächelte und blickte Meg dabei in die Augen. »Mein Dad war dort Hubschrauberpilot in einem Hospital. Er hat mich nach Devon geflogen, nachdem …«
Demis Lächeln erstarb. Sie setzte sich wieder auf, verschränkte die Arme in ihrem Schoß und wippte leicht hin und her. Plötzlich war wieder alles da. Das Krankenhaus, ihre Mutter, Alicia … und das Blut, das entsetzlich viele Blut. Sie hörte sich selbst schreien, roch den Schweiß ihres Vaters, als er ihren Kopf gegen seine Brust drückte … das infernalische Dröhnen der Rotorblätter, als der Hubschrauber abhob und ihre Mutter und Alicia zurückließ … ihre Schreie hörten nie auf, nicht in ihrem Innern.
Demi hob den Blick und sah Meg erneut in die Augen. Das Mädchen wirkte verschwommen. Erst jetzt bemerkte Demi, dass sie weinte. Mit einer fahrigen Handbewegung wischte sie sich Tränen und Rotz aus dem Gesicht. Sie wollte nicht mehr weinen. Das war ein Versprechen am Bett ihrer Großmutter gewesen. Tränen gehörten in die alte Welt und waren mit ihr verschwunden. Sie hatte ihrer Großmutter gesagt, dass sie tapfer und stark sein muss. Sie würde für ihre Großeltern stark sein und für ihren Vater.
Keiner von ihnen war mehr bei ihr.
Sie würde nie vergessen, was mit ihrer Großmutter geschehen war. Sarah hatte geschrien, seit Jahren der erste Laut, der über ihre Lippen gedrungen war. Der Laut hatte sich fremdartig und unmenschlich angehört und die Luft in dem alten Haus zum Erzittern gebracht. Dann war da nur noch das Heulen der Bestie gewesen. Demi war in ein anderes Zimmer gelaufen, hatte sich übergeben und in eine Ecke verkrochen, während die Kreatur durch das Haus geschlichen war. Eine andere hatte unterdessen brüllend die Zimmer im Erdgeschoss verwüstet.
Dann war es irgendwann still geworden und in Demi hatten die Schreie begonnen. Die Schreie ihrer Mutter auf dem Dach des Hospitals in Boston. Die Schreie

Weitere Kostenlose Bücher