Graues Land (German Edition)
wurden. Danach hörten wir auf zu Trinken, denn so viel Gentleman waren wir beide.
Gegenüber der Couch erkenne ich den Fernseher, dessen Bildschirm in der Dunkelheit ein unheimliches, fahles Leuchten von sich gibt, als vertrete er das Tor in eine andere, düstere Welt.
Durch die zu gezogenen Gardinen gegenüber der Tür sickert ein kränklicher Streifen sterbenden Tageslichtes und taucht den Raum in kraftloses Grau. Doch dieser triste Schein reicht aus, um die Gestalt zu erkennen, die in einem Sessel am Kopfende des Tisches kauert.
Augenblicklich spannt sich mein Körper an. Ich reiße das Gewehr hoch, klemme den Schaft gegen die Schulter und ziele über den Lauf auf den Schemen, der reglos in der Dunkelheit verharrt. Die Taschenlampe an meiner Hüfte schlägt ob der plötzlichen Bewegung hart gegen den Oberschenkel. Das Dröhnen meines Herzens hat sich in das kalte Hämmern von Stahl auf einem Amboss verwandelt.
»Wer ist da?«, frage ich und erschrecke über den kläglichen Klang meiner Stimme.
Die Antwort, die unter normalen Umständen auf der Hand liegen musste, fällt mir in Anbetracht kalten Entsetzens, das mich fest umklammert hält, nicht im Traum ein. Und so liegt es an der schattenhaften Gestalt, mir das Einleuchtende näherzubringen.
»Leg das Gewehr weg, Harv.«
In meinem Verstand jagen die widersprüchlichsten Gedanken und Szenarien einander, sodass ich mehrere Augenblicke brauche, um in der müden und schleppenden Stimme, die meines Nachbarn und Freundes erkennen zu können.
»Verdammt, Danny!«, flüstere ich mit einer Mischung aus Entsetzen und tief empfundener Erleichterung. »Warum sitzt du im Dunkeln?«
Ich lasse den Lauf des Gewehrs sinken und trete in die Dämmerung des Zimmers. Eine kleine Ewigkeit scheinen wir uns durch das Dunkel anzustarren, ohne dass sich einer von uns bewegt.
Währenddessen fällt mir der intensive Geruch auf, der mir bereits auf der Veranda entgegengeschlagen war, und der den Raum wie eine dunkle Wolke erfüllt. Ich kann kalten Schweiß riechen, verdorbene Lebensmittel und altes Bier, dazwischen der scharfe Gestank von Urin und Kot.
Die Gestalt vor mir bewegt sich kaum merklich, als sie mir endlich antwortet: »Die Dunkelheit ist alles, was mir geblieben ist.«
Dannys Stimme hat nichts mit dem vitalen und freundlichen Menschen gemein, den ich in der Erinnerung sehe, während ich auf seinen Schatten starre. Eine tiefe Resignation hat sich der Worte meines Nachbarn bemächtigt. Fast klingt seine Stimme wie das verzweifelte Weinen eines Gepeinigten.
Kalter Schweiß bildet sich auf meiner Stirn und in meinen Handflächen. Ich blicke mich im traurigen Schimmer des wenigen Tageslichts in der Wohnstube um, suche nach Cindy, die nur selten von Dannys Seite weicht. Doch mein Freund und ich scheinen die einzigen lebendigen Wesen in diesem Raum zu sein.
»Was redest du da?«, frage ich in Ermangelung aufmunternder Worte.
Irgendwie will mir nicht recht einfallen, was ich tun kann. Ich war mit der Absicht gekommen, mehr über den Verbleib meiner Freunde herauszufinden. Und vielleicht auch, um mir selbst zu beweisen, dass der verrückte Murphy und ich nicht die einzigen Überlebenden in den Hügeln, vielleicht sogar auf der ganzen Welt sind. Und jetzt, da ich nur wenige Meter vor Danny Miller stehe, einem Mann, dessen Nähe und Geist ich stets genossen habe, will mir nicht in den Sinn kommen, welche Worte der Situation angemessen sind.
»Dann sag mir, Harv, wohin das Licht ist. Was ist aus der Welt geworden?«
Ich bin versucht ihm zu sagen, dass draußen, vor den geschlossenen Läden und zugezogenen Gardinen, ein trüber, aber heller Tag allmählich in den Abend übergeht. Doch noch ehe ich mein Wort an Danny richten kann, verstehe ich seine Frage. Er hat Recht. Die Düsternis der Tage, wie sie über die Welt gekommen ist, hat nichts mit dem Licht jener Tage zu tun, als ich mit einer Flasche Cognac oder Rotwein in der Hand eben jenes Haus betreten und mich auf einen gemütlichen Abend gefreut hatte. Mit dem Lachen und der Gegenwart meiner Freunde scheint sich auch das Licht verdunkelt und sein Leben verloren zu haben.
Während ich den Schatten von Danny betrachte, überkommt mich plötzlich eine rauschende, kaum bezwingbare Woge aus Mitleid. Nicht nur für meinen Freund, wie er so da sitzt, in trübem Zwielicht und mit einer Stimme zu mir spricht, die nichts mehr mit dem jungen Mann gemein hat, den ich gekannt habe. Durch Danny wird mir mit einem brutalen Schlag
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