Graues Land (German Edition)
meine Augen erneut einige Sekunden, um sich an die Nacht im Haus zu gewöhnen. Mir scheint, dass Danny sämtliche Fensterläden geschlossen hat.
Vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen und versuche das Dunkel mit meinen Blicken zu zerschneiden. Dabei folgt der Lauf der Waffe jeder meiner Bewegungen. Mein Finger liegt am Abzug. Ein beißender Gestank nach Urin und Schweiß, vermischt mit Abfällen und alten Lebensmitteln, dringt aus dem Haus zu mir. Und noch ein weiterer Geruch, den zu akzeptieren ich mich zunächst weigere. Doch ich komme nicht umhin, mir einzugestehen, dass er mich an altes, ranziges Fleisch erinnert.
Ich trete vor die Stubentür und lausche, indem ich ein Ohr dicht an das Holz halte.
Stille.
Ich drehe mich um und sehe mich in dem kleinen Raum um, den Cindy gerne als ihren »Empfangsraum« bezeichnet hat, der allerdings nichts weiter als ein rechteckiger Korridor ist. Verschiedene Türen zweigen von hier ab, führen in weitere Teile der Hütte.
Ich überlege, in welchem Raum ich mit meiner Erkundung beginnen soll, als mich ein Geräusch erstarren lässt. Blitzschnell drehe ich mich wieder um und starre auf die geschlossene Tür, an der ich zuvor gelauscht habe und die in die Wohnstube führt. Deutlich konnte ich hören, dass etwas umgestoßen wurde. Ein dumpfes, kurzes Krachen, als würde etwas zu Boden fallen und dort einige Zentimeter über den Teppich rollen.
Dann wieder Stille.
In meinem Kopf beginnen die schrecklichsten Bilder wie schwarze Blumen in einer sturmgepeitschten Nacht zu sprießen. Ich schüttele den Kopf, wie man es normalerweise nur in billigen Filmen sieht, wenn der Hauptdarsteller sich vor dem Einfluss unheimlicher Gedanken zu schützen versucht. Bewegungslos verharre ich vor der Tür, das Gewehr auf die Mitte des Türblattes gerichtet, das Holz förmlich mit meinen Augen durchbohrend.
Wenn in diesem unheiligen Augenblick etwas durch die Tür preschen würde, hätte ich mit Sicherheit nicht die Nerven, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Mein bebender Zeigefinger würde unweigerlich und mit präziser Genauigkeit den Abzug betätigen. Und es wäre mir in diesem Moment höchster Angst vollkommen egal, was ich treffen würde.
Ein schöner Held.
Der Letzte seiner Art.
Ich warte darauf, dass sich das Geräusch wiederholt; dass irgendetwas umgestoßen wird, oder sich - im schlimmsten Fall - Schritte der Tür nähern.
Doch kein Poltern. Keine schlurfenden Schritte.
Und doch ...
Etwas bewegt sich hinter der Tür.
Ich kann nicht sagen, ob ich beginne, Geräusche zu hören, die sich mein Verstand einzubilden glaubt, oder ob ich hier in diesem dunklen Raum allmählich, aber unausweichlich, den Verstand verliere.
Doch außer hören kann ich die Bewegung auch fühlen .
Mit jeder Nervenfaser meines Körpers.
Es ist, als würde ein samtener Schleier zärtlich über meine Haut gezogen. Eine verführerische und doch entsetzliche Liebkosung, die meine Sinne in einer derart eindringlichen Weise schärft, dass ich mich für einige Sekunden schwindelig fühle. Dennoch halte ich den Lauf der Waffe beharrlich auf das dunkle Rechteck der Tür gerichtet. Wie lange ich so da stehe, mit angehaltenem Atem und dröhnenden Herzschlägen in meiner Brust, vermag ich nicht zu sagen. Mir erscheint es als eine nie enden wollende Ewigkeit.
Doch als ich weiterhin in tiefe Stille gehüllt bleibe, beginnt eine absurde Selbstsicherheit die tiefsitzende, kalte Furcht in mir zurückzudrängen. Ich spüre, wie eine Kraft in mir an die Oberfläche steigt, welche der unheimlichen Situation absolut unangemessen erscheint, und deren Existenz in mir, mich aufs Höchste verwundert.
Mit leisen Schritten trete ich an die Tür, lausche noch einmal durch das Holz und drücke das Türblatt schließlich mit dem Fuß nach innen, wobei ich das Gewehr nach Cowboyart an der Hüfte halte und auf das schwarze Rechteck ziele, das sich mir offenbart. Hektisch lasse ich meinen Blick durch das Schwarz wandern. Doch wie schon im Korridor, dauert es auch hier einige Sekunden, bis sich meine Augen an das graue Zwielicht der Wohnstube gewöhnt haben.
Ich erkenne die Sitzgruppe mit dem monströsen Marmortisch, an dem wir vier an so manchen Abenden gesessen haben und uns von Cindys Küche verwöhnen ließen, oder jeder ein Glas Cognac genossen hatte. Wobei unsere beiden Damen an dem scharfen Alkohol lediglich genippt hatten, während Danny und ich uns an dem guten Cognac gütlich taten, bis unsere Zungen schwer
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