Graues Land (German Edition)
bewusst, dass es da draußen nichts mehr gibt, das uns an das altbekannte und vertraute Leben erinnert, das wir stets als so selbstverständlich hingenommen haben. Wann haben wir das letzte Mal angehalten, um eine Wolke zu betrachten? Oder den Duft einer wilden Wiese am frühen Morgen bewusst eingeatmet? All diese Begriffe, die unser Leben und unsere Empfindungen prägten, haben ihre Farben verloren und liegen in tiefe Schatten gekauert danieder. Der Duft von nassem Gras hat sich in den Gestank von Moder und Fäulnis gewandelt. Und die klare Luft der Hügel, die stets ein wenig mit der Würze alter Bäume geschwängert gewesen war, trägt mit ihrem eisigen Hauch den Geruch von Verwesung mit sich.
Wir haben verloren, denke ich und spüre, wie sich mein Blut in Eis verwandelt und meinen Körper erfrieren lässt.
Die Überheblichkeit unserer Art war der uralten Kraft unserer Welt nicht gewachsen, auch wenn wir stets etwas anderes geglaubt haben. Wir sind niedergetrampelt worden, so wie wir Blumen auf einer Wiese zertreten, und haben all das verloren, an das wir jemals glaubten und das unser Dasein ausgemacht hat.
All das begreife ich plötzlich, während ich Danny betrachte.
Er scheint mich anzustarren. In der Dämmerung des Raumes kann ich sein Gesicht lediglich als graues Oval erkennen. Doch er sagt kein Wort.
»Wo ist Cindy?«, ergreife ich schließlich das Wort.
Angesichts der Stille, die das Haus erfüllt, erscheint mir meine Stimme inhaltslos und fremdartig. Trotz des Gestankes kann ich nicht einmal das Summen von Fliegen hören.
Als Antwort erhalte ich ein heiseres Kichern. Der Schatten bewegt sich. Als Danny mir antwortet, klingt seine Stimme nasal.
»Cindy? Du willst wissen, wo meine liebe Cindy ist?«
Ich nicke, doch wird mir gleichzeitig bewusst, dass Danny meine Erwiderung nicht erkennen kann.
»Ist sie nicht hier? Hat sie ihre Eltern besucht?«
Ich gehe alle Möglichkeiten durch, welche in mir die Hoffnung nähren, dass es Cindy möglicherweise gut gehen könnte. Doch Danny versetzt mir einen weiteren Dolchstoß.
»Cindy ist hier, Harv. In unserem Schlafzimmer.«
Ich weiß, dass sich das Zimmer im oberen Stockwerk befindet und schaue unbewusst zur Decke, als könnte ich Cindy durch die Dielenbretter sehen.
»Geht es ihr gut?«
Mein Blick fällt wieder auf Danny und ich glaube zu erkennen, wie dieser den Kopf schüttelt und ihn dann kraftlos auf die Brust sinken lässt. Der Atem meines Freundes beginnt schneller zu gehen. Gelegentlich kann ich ein leises Schluchzen hören. Meine Sorge wächst. Das kalte Gefühl, mich in einem surrealen Traum zu bewegen, füllt meinen Magen wie hartes Gestein aus.
Ich gehe langsam auf Danny zu, wobei ich den Lauf meiner Waffe zu Boden richte. Doch das scharfe, metallische Klicken eines Spannhahns lässt mich abrupt inne halten. Entsetzt starre ich auf den unförmigen Schemen meines Nachbarn, der offensichtlich ebenso wie ich ein Gewehr in Händen hält.
»Cindy ist krank«, kommt Dannys Antwort aus der Dunkelheit, als hätte das Spannen des Gewehrhahns niemals zwischen uns stattgefunden und wäre nur ein Gespinst meiner überreizten Fantasie gewesen. »Sie ist gebissen worden.«
Seine Worte klingen emotionslos und ohne jegliches Gewicht. Die Dunkelheit der Wohnstube verschluckt den Klang seiner Stimme und lässt nur ein totes Flüstern zurück.
Die Stille, die auf Dannys Worte folgt, jagt mir einen eisigen Schauer über den Rücken.
»Was ...«, setze ich mit brüchiger Stimme an.
Doch Danny kommt mir zuvor.
»Sie war im Garten, das dumme Ding«, murmelt er, als würde er zu sich selbst sprechen. Ich habe Danny noch nie in dieser Art über seine Frau reden hören. Erst viel später, als ich Zeit fand, über das Ganze – und Dannys Situation im Speziellen – nachzudenken, erkannte ich die traurige Wut und seine wahren Gefühle hinter diesen Worten.
»Unsere Vorräte gingen zur Neige. Zumindest das, was aus unserem Garten stammt. Du weißt ja, wie sehr Cindy auf gesunde Ernährung achtete.« Trotz der Dunkelheit glaube ich zu sehen, wie ein bitteres Lächeln über sein Gesicht streicht. »Selbst in diesen verfluchten Zeiten, in denen ihr Gott sich einen Dreck drum kümmert, ob wir uns gesund ernähren oder nicht.« Dannys Lächeln ist eindeutig verschwunden. »Sie wollte Äpfel holen. Du weißt, dass wir noch welche in Körben im Holzschuppen aufbewahren.«
In meinen Gedanken entsteht ein farbenfrohes Abbild des Gartens meiner Nachbarn, das nicht im
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