Graues Land (German Edition)
meiner Bewegung inne und starre auf das schwarze Rechteck der offenen Tür. Das Fliegengitter hängt schief davor und bewegt sich keinen Zentimeter mehr. Ich kann sehen, dass in dem engmaschigen Geflecht große Löcher klaffen. Als hätte jemand - oder etwas - versucht, sich gewaltsam Zutritt ins Haus zu verschaffen. Der Anblick der morschen Tür ist eine weitere unumstößliche und furchterregende Tatsache dieser neuen Welt, ebenso wie die widernatürliche Stille, die mich wie ein zu enger Mantel einhüllt. Doch wie gesagt, der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Und so konzentriere ich mich auf die offene Haustür.
Danny und Cindy hätten niemals die Tür unversperrt gelassen. Besonders nicht zu diesen Zeiten. Jedes kleine Härchen in meinem Nacken richtet sich auf, als ich darüber nachdenke, Dannys Namen zu rufen. Doch mir ist gleichzeitig bewusst, dass der bloße Klang meiner verlorenen und echolosen Stimme mir die Furcht nur noch tiefer in die Knochen treiben würde. Nur zu gut entsinne ich mich des grausigen Klanges meiner Worte, als ich vor Murphys Laden gestanden habe.
Einige Minuten stehe ich unentschlossen da. Ein regloser, grauer Schatten, inmitten von Nebelfetzen, welken Blättern und einem gespenstischen Schweigen. Ich starre auf die gähnende Öffnung der Tür ... und das Haus starrt zurück. Direkt in meine Seele. Es beobachtet mich mit stoischer Ruhe und wartet, was dieser Eindringling auf den Stufen der Veranda zu tun gedenkt.
Endlich gelingt es mir, mich aus diesem tranceähnlichen Zustand zu befreien und die Kontrolle über meine wirbelnden Gedanken zurückzuerlangen. Der Lauf meiner Waffe zielt genau in die Mitte des Eingangs, als ich vorsichtig die knarrenden Stufen hinaufsteige und mich über das trockene Holz der Dielenbretter der Tür nähere. Rechts davon lehnt ein Korbsessel umgedreht gegen die Hauswand, um ihn vor Regen und Blättern zu schützen. Ich erinnere mich, dass Cindy oft in diesem Sessel gesessen hat, wenn ich zu Besuch gekommen war. Meistens hatte sie ein Buch umgedreht auf ihrem Schoß liegen, so dass ich den Einband erkennen und mich mit ihr über verschiedene Schriftsteller unterhalten konnte, die wir beide gut fanden. Manchmal saß sie aber auch einfach nur da, hatte die Augen geschlossen und die Hände im Schoß gefaltet. Dann räusperte ich mich immer verlegen, wie es ein schüchterner Schuljunge bei den Eltern seiner großen Jugendliebe tun würde, bis Cindy die Augen öffnete und mich mit ihrem freundlichsten Lächeln willkommen hieß.
Diese Bilder aus den alten Tagen fluten plötzlich über mich hinweg, als mein Blick den Korbsessel streift. Mir wird bewusst, dass Cindy Miller wahrscheinlich nie wieder in ihrem geliebten Sessel sitzen wird. Der Gedanke ist so grauenvoll und wird doch gleichzeitig in der Stille des Tages von grässlicher Realität begleitet.
Ich wende mich wieder der Tür zu. Meine Schritte hämmern wie Donner durch die Hügel, obwohl ich so leise wie möglich zu schleichen versuche. Ich trete neben das Fliegengitter, stoße es mit dem Lauf der Waffe vollends auf und erschrecke mich törichterweise ob des erneuten Quietschens der rostigen Scharniere.
Augenblicke später kehrt wieder Stille ein. Mit zusammengekniffenen Augen starre ich auf das Schwarz vor mir. Es dauert einige Sekunden, bis sich mein Blick an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt hat. Dann kann ich graue Schatten erkennen, die sich schnell als die Kommode und der kleine Tisch herausstellen, die seit Jahren im Eingangsbereich der Millers stehen. Auf dem runden Holztisch habe ich immer meine Autoschlüssel abgelegt, wenn ich zu Besuch gewesen war. Und die Kommode diente stets als Ablage für Mäntel und meinen grauen Hut, der jetzt in einem Schrank in Sarahs Zimmer liegt und nutzlos geworden ist.
Ich kenne mich im Haus der Millers fast ebenso gut aus, wie in meinem eigenen. Zu oft war ich hier gewesen, um Cindys Kochkünste zu bewundern, oder mit Danny einfach am Abend zusammen auf der Veranda zu sitzen und ein kaltes Bier zu trinken. Daher weiß ich, dass die Tür vor mir, welche sich in der Dunkelheit als schwarzes Rechteck präsentiert, direkt in die Wohnstube führt.
Ich zögere, einen ersten Schritt über die Schwelle zu setzen. Doch wider alle Vernunft trete ich in die Dunkelheit ein und bleibe im Türrahmen stehen. Ein kurzer Blick über die Schulter verrät mir, dass die Welt im trüben Licht des Nachmittages immer noch schweigsam verharrt.
Als ich mich wieder umdrehe, brauchen
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