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Graues Land (German Edition)

Graues Land (German Edition)

Titel: Graues Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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einem Wasserfall gleich, ins Zimmer und blendet mich. Die Schatten meiner Gruft verschwinden winselnd in Ecken und Nischen. Ich kneife die Augen zu schmalen, tränenden Schlitzen zusammen und spähe unter vorgehaltener Hand ins Freie hinaus.
    Die ganze Welt scheint in Aufruhr. Die allgegenwärtige, starre Stille der Hügel ist einem Rauschen und Donnern gewichen.
    Die Bäume jenseits des Gartenzaunes neigen sich in wildem Tanz der Erde entgegen. Dann strecken sie sich hilfesuchend dem wolkenbedeckten Himmel entgegen, um gleich darauf erneut zu Boden gedrückt zu werden. Äste und braunes Laub wirbeln in wilder Jagd durch die Luft, schlagen krachend gegen das Haus. Das Toben aufgewühlten Grases und euphorisch schaukelnder Büsche erfüllt den Tag. Und über allem thront das gigantische Brummen eines schwarzen Ungetüms.
    Ungläubig starre ich der Bestie entgegen. Der Wind peitscht mir ins Gesicht und ich schmecke Staub auf der Zunge. Meine Augen brennen. Doch das alles spüre ich nicht.
    Ich brauche einige Zeit, bis ich realisieren kann, was meine tränenfeuchten Augen da sehen. Zu lange bin ich scheinbar schon alleine und einer Situation ausgesetzt, die in meinem alten Leben zu groß und zu grotesk gewesen wäre, um sie vollständig erfassen zu können. Dann sickert die ganze herrliche Wahrheit wie flüssiges Glück langsam in meinen Verstand hinein.
    Ein Hubschrauber, flüstere ich in Gedanken.
    Das Wort erscheint mir so fremd wie es einem Kleinkind vorkommen muss, dass die unendliche Welt der Sprache für sich zu entdecken beginnt.
    »Ein Hubschrauber«, rufe ich dann laut aus und starre mit weit aufgerissenen Augen zum Himmel empor.
    Selbst die Lautstärke meiner Stimme kommt mir fremd vor. Wann habe ich denn das letzte Mal geschrien, wenn ich meinen kurzen Besuch bei Murphy einmal außer Acht lasse?
    Trotz der erhobenen Stimme sind meine Worte durch den Lärm der Rotoren kaum zu verstehen.
    Ich drehe mich zu Sarah um und stelle besorgt fest, dass sie sich unter ihrer Bettdecke windet und ein angespannter Ausdruck ihrem Gesicht das Aussehen einer eingeschüchterten Fratze verleiht. Fast erscheint es mir, als befände sie sich in einem besonders schlimmen Alptraum.
    Einen letzten Blick auf den schwarzen Schatten am Himmel werfend, gehe ich zum Bett hinüber, setze mich auf die Kante neben Sarah und streiche ihr behutsam über die feuchte Stirn.
    »Sarah, meine Liebe«, sage ich, wobei meine Worte im infernalischen Brummen verschwinden, sobald sie meine Lippen verlassen haben.
    Ich beuge mich zu Sarah hinab und flüstere ihr direkt ins Ohr. »Ein Hubschrauber. Über dem Haus fliegt ein Hubschrauber.«
    Kaum kann ich meine Aufregung verbergen, die mich derart plötzlich befällt, wie all die Tage zuvor die nackte Angst ums Überleben.
    »Wir sind gerettet.«
    Mit bebenden Lippen drücke ich Sarah einen Kuss auf die Stirn und streiche ihr Haar aus dem Gesicht. Sie liegt jetzt wieder still. Die Anspannung, die sich ihrer bemächtigt hatte, ist verflogen. Ich bin glücklich darüber, dass meine Stimme es immer noch schafft, meine geliebte Sarah zu beruhigen. Dann, während ich ihr friedliches Gesicht betrachte, überkommt mich die Erkenntnis mit einem kalten, kurzen Schlag, der mich augenblicklich zum Fenster zurücktreibt. Am Fußende des Bettes bleibe ich hängen und stoße mir schmerzhaft das Knie. Doch den Schmerz spüre ich nur im Unterbewusstsein.
    Ein Helikopter ...
    Er war nicht schwarz, wie es ein Hubschrauber der Regierung hätte sein müssen. Das Ding am Himmel war rot. Rot und weiß.
    Ich lehne mich weit aus dem Fenster, in den kalten Wind der Rotorblätter hinein, und spähe durch aufgewirbelten Staub und Blätter zum Himmel empor.
    Rot und weiß. Die Farben der Rettungshubschrauber städtischer Hospitäler.
    Barry war Hubschrauberpilot gewesen. Und er flog für das Boston Memorial Hospital.
    Als hätte der Pilot meine Gedanken erraten, öffnet sich die seitliche Schiebetür des Helikopters und eine kleine schwarze Gestalt erscheint in der Luke.
    Ich presse meine Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und schirme sie mit einer Hand gegen den reißenden Wind ab. Der Schatten bewegt sich, hebt einen Arm, der auf die Entfernung dünn wie ein Strich wirkt. Dann stoße ich einen heiseren Schrei aus und spüre im gleichen Augenblick wie sich meine ohnehin feuchten Augen mit einem Sturzbach von Tränen füllen.
    Demi.
    Ich kann nicht glauben, was mir meine Augen zu suggerieren versuchen. Mit dem Ärmel meines

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