Graues Land (German Edition)
Pyjamas wische ich die Tränen weg und versuche mich auf die schmale Gestalt im Hubschrauber zu konzentrieren. Die Welt um mich herum verschwindet für einen kurzen Augenblick. Selbst der aufgewirbelte Sand und das beständige Schlagen der Rotorblätter durch die Luft verlieren ihre Bedeutung.
Übrig bleiben einzig und allein der rot–weiße Helikopter, die offene Luke, die mir wie das seitlich geöffnete Maul einer Bestie erscheint, und die winkende Gestalt inmitten dieses Maules.
»Demi!«, brülle ich in heller Aufregung.
Mein Hals protestiert und schmerzt fast augenblicklich. Mein Herz beginnt in wildem Takt in meiner viel zu kleinen Brust zu hämmern.
»Sarah, unsere Kleine ist da«, rufe ich über die Schulter.
Dann lehne ich mich so weit aus dem Fenster wie ich es wage und beginne mit beiden Armen ekstatisch zu winken.
»Unsere Kleine ist da.«
II
Zwei Stunden später stehe ich in der Küche und bereite das Essen.
Eine Angelegenheit, die mir früher als so selbstverständlich erschien, bedeutet für mich im Moment die schönste Arbeit der Welt.
Ich habe Feuer im alten Eisenofen gemacht und lausche in stiller Andacht dem Prasseln der Scheite im Brennraum, während ich in fast vergessener Betriebsamkeit in Töpfen rühre, Gemüse schneide und Kartoffeln schäle. Alles Dinge, die Barry aus einem großen Leinensack der Armee zu Tage befördert hat.
Es muss ein ganzes Leben lang her sein, dass ich derart frische Zutaten auf dem Tisch liegen hatte. Dementsprechend groß ist mein Hunger, als mir die delikatesten Düfte in die Nase zu steigen beginnen.
Mehrere Kerzen sind um den Ofen herum und auf der Arbeitsplatte aufgestellt, so dass mein Tun in warmes Licht getaucht wird. Durch die Ritzen der Bretter, die ich vor das Fenster und die Verandatür genagelt habe, ergießt sich schwerfällig graues Tageslicht, doch vermag es meine Hochstimmung und den heimeligen Touch des Kerzenscheins nicht zu trüben.
Barry sitzt im Wohnzimmer und hat sich ein Glas Whiskey eingegossen, den er ebenfalls aus seinem Zaubersack hervorgeholt hatte. Er hat mir einen Drink angeboten, doch ich habe dankend abgelehnt. In diesen schrecklichen Zeiten möchte ich mich nicht dem Teufel Alkohol ergeben.
Barry hatte früher nie getrunken.
Das Gefühl, wie in alten Zeiten für meinen Sohn und seine Familie zu kochen, tut mir gut. Es gibt mir etwas zurück, das ich in den letzten zwei Wochen verloren geglaubt hatte. Das gute und intensive Gefühl, dass jemand da ist, um den man sich kümmern kann, und man nicht völlig allein auf der Welt ist.
Wieder beschleicht mich bei dem Gedanken ein schlechtes Gewissen, Sarah gegenüber. Aber mein altes Mädchen dürfte ganz genau wissen, was ich mit meinen inneren Worten auszudrücken versuche. Denn zu guter Letzt war sie es gewesen, die mir den einzigen nachvollziehbaren Grund geliefert hatte, bis zum heutigen Tag am Leben zu bleiben.
Ich stelle mir Barry vor, wie er auf der Couch sitzt; auf seinem Platz neben der Armlehne, den er immer innehatte, wenn er uns besuchte. Einzig das Glas mit Whiskey will nicht so recht in meine Vorstellung familiärer Idylle passen.
Demi ist nach oben gegangen. Sie wollte einige Augenblicke mit ihrer Großmutter alleine verbringen. Mehr hat sie nicht gesagt. Vermutlich braucht sie nur einen Platz, an dem sie weinen kann. Und wo kann man das besser, als in der Nähe einer vertrauten und geliebten Person. Wie oft hatte ich selbst in den letzten Tagen neben Sarah gelegen, meinen Arm um ihren hageren Körper gelegt und habe mich von meinen Gefühlen übermannen lassen.
Demi hat nicht viel geredet seit sie hier ist. Überhaupt hat sich meine Kleine sehr verändert seit ihrem letzten Besuch. Und der liegt gerade einmal ein paar Wochen zurück. Doch wer vermag ihr diese Wandlung zu verdenken? Ich bin mit Sicherheit der letzte Mensch, der das tut.
Auch Barry kommt mir verändert vor. Ruhiger und ernster. Als sein Vater bin ich fast geneigt zu sagen, er kommt mir vernünftiger vor.
Aber wenn diese scheußlichen Zeiten den letzten Menschen eines gegeben haben, dann die Tatsache, dass man das eigene Leben mehr zu schätzen lernt. Nichts erscheint einem wichtiger, als einen Weg zum Überleben zu finden. Jeder Morgen ist wichtiger als der vorangegangene. Und jeder Gedanke verlangt mehr Abwägung und Überlegung, da er der letzte sein kann.
Demzufolge hat sich Barry zum Besseren verändert. Wobei ich damit nicht sagen will, dass er vorher ein schlechter Mensch gewesen
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