Graues Land (German Edition)
ich stumm und lehne mich im Sessel zurück.
Ohne aufzublicken, unablässig das Haar seiner kleinen Tochter kraulend, fährt Barry schließlich mit seiner Erzählung fort.
»Während alle mit ihren Aufgaben im Krankenhaus ausgelastet waren, bin ich, da ich der einzige mit einem Pilotenschein war, jeden Tag mit dem Rettungshubschrauber losgeflogen, um entweder nach Überlebenden in und um Boston zu suchen, oder um unsere Vorräte aufzufüllen.«
Er sieht mich an und ein schelmisches Grinsen ziert plötzlich sein Gesicht.
»Das war das Gute daran, dass sich Boston in eine menschenleere Wüste verwandelt hat. Ein Mann kann mit seinem Helikopter landen wo er will, ohne dass ihm ein aufdringlicher Officer einen Strafzettel verpasst.«
Ich versuche in Barrys Grinsen einzustimmen, indem ich mit den Schultern zucke und ein Lächeln über mein Gesicht huschen lasse, das mir so aufgesetzt vorkommt wie noch nie zuvor etwas in meinem Leben. Doch die Vorstellung von einer stillen Betonwüste namens Boston kann mir nun einmal kein Grinsen abverlangen.
Als Barry fortfährt, ist er wieder ernst.
»Ich will es kurz machen. Überlebende habe ich in der ganzen Stadt nicht gefunden. Zumindest fast nicht. Zweimal habe ich jemanden gesehen, der in Panik vor dem Hubschrauber geflüchtet und zwischen zwei Häusern verschwunden ist. Einmal war es eine Frau und einmal ein Mann. Beide habe ich nicht wiederfinden können. Selbst als ich mit dem Helikopter mitten auf der Kreuzung gelandet und mit erhobenen Händen nach den beiden Überlebenden gerufen und mich als einer der ihren zu erkennen gegeben habe, sind sie nicht aus ihren Verstecken gekommen. Auch als ich mit meiner Maschine wieder abhob und dabei eine Menge Staub und altes Zeitungspapier von der Straße aufgewirbelt habe, ist keiner von ihnen gekommen und hat mir verzweifelt gewunken. Die beiden waren einfach verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Auch als ich in den nächsten Tagen immer wieder über diese bestimmte Kreuzung geflogen bin, haben sie sich nicht gezeigt. Schließlich habe ich die Hoffnung aufgegeben, sie oder andere Überlebende zu finden, und habe mein Augenmerk auf die Beschaffung von Vorräten gelegt. Wenn mir dabei einer der beiden über den Weg gelaufen wäre, umso besser. Aber sie taten es nicht und hielten sich weiterhin versteckt. Oder sie waren mittlerweile von diesen Ungeheuern – wie nennst du sie? Shoggothen ? – gefunden worden. Ich weiß es nicht.«
Barry macht eine kurze Pause und blickt zum Fenster als lausche er auf ein Geräusch.
Ich folge seinem Beispiel, durch die Ereignisse der letzten Tage – insbesondere im Haus der Millers – in ständige Alarmbereitschaft versetzt.
Doch draußen ist alles still.
»Vorräte und Arzneimittel zu besorgen war nicht schwer«, fährt Barry dann mit leiserer Stimme fort. »Ich hatte ja eine ganze Stadt mit all ihren Einkaufszentren und Fabriken für mich alleine. Ich musste nur vorsichtig sein, denn die Stadt hatte keinen Strom mehr und demzufolge waren die Einkaufstempel dunkel. Wir wussten nicht, wo sich diese Bestien am Tage verstecken. Deshalb habe ich mich erst auf dem nahen Militärstützpunkt, wo ich auch den Hubschrauber auftanken konnte, mit einigen Waffen eingedeckt.«
Er sieht mich an, als hätte er mir als kleiner Junge gerade sein intimstes Geheimnis verraten.
»Keine Angst, Dad. Die Waffen sind im Heli. Aber du wirst einsehen, dass sie in dieser Welt den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten können. Ich hatte Waffen für alle besorgt, auch wenn keiner von uns über irgendwelche Erfahrungen im Umgang mit Feuerwaffen verfügte. Aber mit einer Knarre in meinen Händen, deren Marke ich nicht einmal kannte, fühlte ich mich sicherer, wenn ich durch die dunklen Gänge der Supermärkte schlich.«
Wieder sieht er mich an und lächelt dabei bitter.
»Diese Ungeheuer scheinen allerdings von Menschenhand erschaffene Bauwerke zu scheuen. Denn ich habe in keinem der Häuser, die ich inspiziert habe, auch nur eines dieser Wesen gesehen oder gehört. Sie werden wohl mit Wäldern oder Parks vorlieb nehmen. Oder sie verkriechen sich in der Kanalisation. Das haben wir nie raus gefunden. Trotzdem hat mich meine Waffe wahrscheinlich davor bewahrt, irgendwann einmal schreiend durch die Supermärkte zu laufen und vor jedem ungewöhnlichen Geräusch die Beine in die Hand zu nehmen. Man fühlt sich einfach sicher damit, verstehst du? Da wir alle keine Erfahrung im Umgang mit Waffen besaßen, haben
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