Graues Land (German Edition)
wir uns das Zielen und Schießen und Einkalkulieren des Rückstoßes gegenseitig beigebracht.«
Barry blickt lange auf Demi hinab und sieht mir dann mit dunklem Ernst in die Augen. Ich kenne seine Worte schon, bevor er sie aussprechen kann.
»Auch Demi bekam eine Waffe, Dad. Das musst du verstehen.«
Es gefällt mir nicht, mir vorstellen zu müssen, dass meine kleine Enkelin wie eine Kindersoldatin mit einer Waffe herumläuft und das Schießen lernt. Womöglich sogar das Töten, auch wenn es nur zu ihrem eigenen und dem Schutz der Gruppe gehörte. Der Gedanke gefällt mir ganz und gar nicht. Doch ich verstehe Barrys Entscheidung und akzeptiere sie. Auch wenn mein Innerstes dagegen spricht. Ich nicke meinem Sohn zu, ohne ein Wort zu sagen.
»Du musst dir keine Gedanken über Demi machen«, fährt Barry mit einfühlsamer Stimme fort. Er kennt die Gedanken seines Vaters. »Sie denkt über Feuerwaffen genauso wie du und ich. Aber sie hat eingesehen, dass diese Maßnahme in unserer Situation unumgänglich war. Ich sagte dir ja bereits, unsere kleine Gruppe hat sich erstaunlich schnell an die veränderten Bedingungen gewöhnt. Einschließlich Demi.«
Barry greift nach seinem leeren Glas und dreht es zwischen den Händen. Sein Blick verrät mir, wie gerne er es gefüllt hätte, um den Rest seiner Erzählung besser verkraften zu können; sie vielleicht in jenem milchigen Licht zu sehen, das nur Alkohol erzeugen kann, und in dessen Schimmer vieles seinen Schrecken verliert.
Doch er stellt das Glas wieder auf den Tisch zurück, betrachtet eine Weile das Spiel der Kerzenflamme darin und beginnt wieder über Demis Haar zu streichen. Das Mädchen regt sich kurz und murmelt einige unverständliche Worte. Ein weiterer Aspekt dieser neuen Zeit, denn meine Enkeltochter hat vorher nie im Schlaf gesprochen. Und um ehrlich zu sein, bin ich froh, dass ich nicht verstehe, was sie sagt.
»Unsere Gruppe funktionierte richtig gut. Wir hatten ausreichend Nahrung und medizinische Versorgung und Shelley hatte sogar damit begonnen, Demi mit einigen Schulbüchern, die ich besorgte, zu unterrichten. `Man weiß ja nie, wie sich unser Leben weiter entwickelt´, sagte sie stets. Ich glaube, die beiden brauchten diese Form der Ablenkung. Der Unterricht, zu dem sie sich in eines der Patientenzimmer zurückzogen, zeigte ihnen, dass es da immer noch ein Stück Normalität aus der alten Zeit gab, das ihnen diese neue Welt nicht zu nehmen vermochte. Sie klammerten sich beide daran und es tat gut zu sehen, wie meine beiden Mädchen durch diesen Unterricht förmlich aufblühten. Ich weiß nicht, ob sich Demi wirklich auf das konzentriert hat, was ihre Mutter ihr beizubringen versuchte. Vielmehr denke ich, dass meine Kleine diese Stunden mit einem ihrer geliebten und vertrauten Menschen einfach nur genossen hat. Sie hatte diese Zeit in sich aufgesogen. Selbst wenn Shelley das Ende ihrer Schulstunde verkündete, weigerte sich Demi oft, den Unterricht schon zu beenden.«
Barry lacht kurz auf und sieht seine Tochter stolz an. Doch ich kenne dieses Lachen. Es war nichts anderes als eine Maskierung seiner Tränen, die sich ihren Weg an die Oberfläche zu bahnen versuchen.
»Weißt du, Dad. Ungeachtet der Schrecknisse, die diese Tage für uns bereit hielten, fanden die Leute in unserer kleinen Gruppe schnell zueinander und schnürten ein starkes Band. Etwas, dass in der alten Zeit fast unmöglich gewesen wäre. Zumindest in diesem emotionalen Ausmaß. Die Menschen hielten zusammen. Sie wussten, dass sich einer auf den anderen verlassen musste, und sie alle wussten, dass sie ein wichtiger Bestandteil dieser Gemeinschaft waren. Ich glaube sogar ...«
Barry verstummt und wirft Demi einen prüfenden Blick zu. Dann blickt er mich mit einem verschmitzten Lächeln an, das ich stets so an ihm geliebt habe.
»Ich glaube sogar, dass Becky und Jerry etwas miteinander gehabt haben. Beide waren jung und stammten aus der gleichen Gegend. Das schweißt zusammen.«
Er zwinkert mir zu. Ich kann nicht anders, als sein Grinsen zu erwidern. Doch dann wird Barry schlagartig ernst. Binnen einer Sekunde verdunkelt sich sein Gesicht und seine Augen verlieren jeglichen Glanz, den Jerrys und Beckys vermeintliche Beziehung gerade noch in ihm erweckt hatten.
»Alles war gut«, spricht er mit monotoner Stimme. »Doch dann haben wir Alicia getroffen.«
Seine finsteren Augen streifen mich und blicken dann unstet im Raum umher. Ich kann erkennen, wie gewaltige Emotionen in ihm
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