Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
zu lang hatten sie sich in diesen Schicki-Micki-Kreisen bewegt, aus denen
sich kaum einer als echter Freund entpuppte, der ihr in den schweren Wochen
nach dem Unglück zur Seite gestanden wäre. Seit auch ihr einziges Kind, ihre
Tochter Larissa, nach Österreich gezogen war, wo sie mit ihrem österreichischen
Ehemann ein Hotel führte, war alles noch schlimmer geworden. Sie war aus dem
vermeintlich sicheren kapitalistischen Netzwerk gefallen und hatte sich
nirgendwo mehr zurechtgefunden. Erst als sie vor sechs Jahren, 2006, dieses
kleine Häuschen in der Beschaulichkeit der Schwäbischen Alb hatte kaufen
können, war sie von den Schatten der Vergangenheit wieder auf die Sonnenseite
des Lebens geraten. Zumindest empfand sie dies so – verbunden mit einer unendlichen Dankbarkeit für einige dieser Menschen, die sie
an einem Wochenende wie diesem treffen würde.
Ihre
Schwägerin hatte es nach dem plötzlichen Krebstod ihres Mannes beruflich auch
wieder nach Süddeutschland verschlagen. Beide genossen sie die Nähe. Ohnehin
waren die Kontakte nach der gemeinsamen traurigen Reise an den Absturzort sehr
intensiv geworden. Inzwischen verband sie sogar ein gemeinsames Geheimnis.
Tief in die Erinnerung an die
vergangenen 14 Jahre versunken, hätte Karin beinahe die Autobahn-Ausfahrt Oy
verpasst. Sie trat erschrocken auf die Bremse, als die weiß-blauen Baken die
Abbiegespur ankündigten. Wie die Kilometer seit dem Autobahndreieck Allgäu an
ihr vorbeigezogen waren, hätte sie nicht mehr sagen können. Nichts davon war
bis in ihr Bewusstsein gedrungen. Nicht die sanft ansteigende Autobahn, nicht
die nahenden und noch im Schatten liegenden Steilhänge und auch die lang
gezogene Rottachtalbrücke nicht.
Karin
sah auf die digitale Uhr im Armaturenbrett. Es war kurz vor neun Uhr.
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Auch Aleen Dobler-Maifeld hatte
auf die Uhr gesehen. Sie war mit ihrem metallic-roten VW-Passat später als
geplant losgekommen. Gerade erst hatte sie den B10-Tunnel bei Ulm passiert und
sah links im Gegenlicht der höher steigenden Sonne das majestätisch aufragende
Münster. Sie musste sich auf den Straßenverlauf und den stockenden Verkehr
konzentrieren, denn es gab eine Verengung – wegen
einer innerstädtischen Brückensanierung.
Der
gestrige Donnerstag lag ihr noch bleiern in den Knochen. Bis in den späten
Abend hinein hatte die Strategiekonferenz gedauert, während der die Weichen für
die Zukunft dieses globalen Großunternehmens gestellt werden sollten. Wieder
einmal war deutlich geworden, dass die Ansichten zwischen den Kapitaleignern
und dem Vorstandsgremium weit auseinanderdrifteten. Aleen, nach einem mit
Bravour absolvierten Studium der Betriebswirtschaft und nach mehreren
verantwortlichen Stellen in verschiedenen Konzernen vor zwei Jahren ins
Schwäbische gekommen, fühlte sich seit Monaten zwischen den Fronten zermürbt,
ausgelaugt und ausgebrannt. Vielleicht war es die schwäbische Mentalität, mit
der sie als ›Kind des Nordens‹, wie sie sich oft mit unverkennbar
niedersächsischem Zungenschlag bezeichnete, nicht zurecht kam. Allein schon
ihre Position im Finanzmanagement – hochtrabend als ›Chief Financial Officer‹ betitelt – ließ
ihre Beliebtheitskurve keinesfalls nach oben schnellen. Schließlich wurde von
ihr erwartet, einen rigiden Sparkurs durchzusetzen. Doch dies alles raubte ihr
den Schlaf. Sie konnte sich nicht mehr konzentrieren, war vergesslich und
antriebslos.
Bei den
Meetings, wie heutzutage Besprechungen genannt wurden, hatte sie oft zu spüren
bekommen, dass in diesen Konferenzen Welten aufeinanderprallten. Hier das
Vorstandsmanagement, besetzt mit international erfahrenen, aber gnadenlosen
Strategen, dort die schwäbische Eignerfamilie, die sich nur ungern in die
finanziellen Karten blicken ließ. Hinzu kam, dass das Unternehmen von der
Öffentlichkeit noch immer als traditioneller und damit bodenständiger Betrieb
geschätzt wurde, an dessen Spitze die Öffentlichkeit keine kaltschnäuzigen
Manager sehen wollte, die sich weder mit dem Produkt noch mit Stadt und
Landschaft, geschweige denn mit den Menschen identifizierten. Seit der Ruf
dieser sogenannten Eliten – ausgelöst durch eigene Gier und Abzock-Mentalität – weltweit ins Bodenlose stürzte, wurde es ohnehin zunehmend schwieriger,
wirtschaftliche Entscheidungen – auch wenn sie noch so geboten erscheinen
mochten, nach außen hin zu vertreten. Sofort schlug jedem, der Althergebrachtes
ändern wollte, eiskaltes Misstrauen
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