Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
Hallenbad, das ins Obergeschoss des Sanitärgebäudes integriert
war und dessen geschwungene Glasfront einen grandiosen Blick auf das
beeindruckende Panorama der Berge bot. Dazu eine behagliche Wärme, die für
Entspannung und Wellness sorgte.
Jonas
Mullinger, ein Student des Gesundheits- und Tourismusmanagements, war in dem
ovalen Pool soeben zehn Längen geschwommen und genoss diese Atmosphäre. Er ließ
sich am Beckenrand bis zum Hals ins angenehm temperierte Wasser sinken und
lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die geflieste Überlaufkante. Sein
Blick ging hinaus auf die Sträucher und Bäume, die mit ihrem zarten Grün die
Parzellen des Campingplatzes umrahmten. Er konnte von hier aus sogar seinen
alten gelben VW-Campingbus sehen, den er im Laufe des Frühjahrs günstig
erworben hatte. 23 Jahre alt war die ›Kiste‹, wie er sie nannte, doch der
Dieselmotor schnurrte noch immer zuverlässig. Die Inneneinrichtung machte zwar
einen abgewohnten Eindruck, aber für seine Bedürfnisse reichte es allemal. Auch
das Hubdach, das er mit Muskelkraft nach oben drücken musste, um sich die
nötige Stehhöhe zu verschaffen, empfand er keineswegs als lästig. Ihm genügte
es, unabhängig durch die Lande fahren zu können, um möglichst viele
touristische Glanzpunkte kennenzulernen. Denn sobald er sein Studium
abgeschlossen haben würde, strebte er eine Karriere in der Tourismusbranche an.
Während
er sich seinen Zukunftsträumen hingab, nahm er nur beiläufig wahr, wie sich
draußen der Campingplatz mit Leben füllte. Vereinzelt schlenderten leger
gekleidete Personen aufs Sanitärgebäude zu. Andere gingen über den ansteigenden
Weg zur Rezeption hinauf, wo es allmorgendlich frische Brötchen und Zeitungen
gab.
Mullinger
war so sehr in seine Gedanken und das Geschehen vor der Fensterfront vertieft,
dass er das Rentner-Ehepaar gar nicht bemerkte, das inzwischen hinter ihm
gemächlich durchs Becken schwamm. Doch dann genügte eine kurze Beobachtung, um
ihn mit allen Sinnen wieder in die Realität zurückzuholen: Zwischen zwei
Sträuchern hatte sein Unterbewusstsein eine junge Frau wahrgenommen, die aus
der Reihe der dort abgestellten Wohnwagen gekommen war. Mullinger kniff die
Augen zusammen, um schärfer sehen zu können. Das Objekt seiner Begierde hatte
schulterlange schwarze Haare, war rank und schlank und wollte, was die Kleidung
anbelangte, nicht so recht ins optische Bild passen, das zu dieser Stunde auf
Campingplätzen vorherrschte. Sie trug einen eleganten dunkelblauen Hosenanzug
und eilte in Richtung Ausgang. Mullinger sah ihr nach und war von ihrem flotten
Gang und ihrem Hüftschwung angetan. Nachdem sie an der Gebäudekante seinem
Blickfeld entschwunden war, versuchte er, sie nachträglich einem der Wohnwagen
zuzuordnen. Doch so richtig gelingen wollte ihm dies nicht.
Noch
während er beschloss, in den nächsten Tagen intensiv nach ihr Ausschau zu
halten, holte ihn ein Schatten, der im rechten Augenwinkel auftauchte, wieder
in die Realität zurück. Er drehte sich instinktiv zur Seite und sah, wie neben
ihm ein Schwimmer mittleren Alters am Beckenrand anlandete. »Hallo«, grinste es
Mullinger aus einem sonnengebräunten Gesicht entgegen. Der Mann wischte sich
Wasser von Schnauzbart und Mundwinkeln.
Mullinger
musterte ihn irritiert. Er konnte diesem Gesicht keinen Namen geben. Der
Unbekannte lehnte sich ebenfalls an den Beckenrand und tat so, als wolle er
diese Wellness-Atmosphäre gemeinsam mit Mullinger genießen. »Super Tag heute«,
fuhr er mit sympathischem Lächeln fort.
Doch Mullinger hatte nicht die geringste Lust, sich am
Beckenrand auf Small Talk einzulassen. Er wollte ohnehin das Wasser verlassen.
Denn er war nur deshalb bereits gestern Abend angereist, um heute Vormittag
einen Termin wahrzunehmen.
Der Unbekannte neben ihm schien es allerdings nicht bei
der kurzen Bemerkung bewenden lassen zu wollen. Ohne den jungen Mann eines
Blickes zu würdigen, sagte er leise, fast gefährlich leise, wie Mullinger es in
diesem Moment empfand: »Karin Waghäusl wird sich freuen, Sie kennenzulernen.«
Mullinger war verblüfft. Waghäusl? Hatte er Karin
Waghäusl erwähnt? Der junge Mann spürte, wie sich sein Pulsschlag
beschleunigte. Nie zuvor hatte er diesen Unbekannten gesehen. Ganz sicher
nicht. Im Bruchteil einer Sekunde jagten Tausende Gedanken durch seinen Kopf,
während der Fremde ungerührt nach draußen starrte und sich der Wirkung seiner
Bemerkung offenbar triumphierend bewusst war.
Mullinger
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