Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
entgegen.
Diese
gnadenlos durchgreifenden Manager hatten nur das Glück, dass es genügend
Journalisten gab, denen man mit geschönten Bilanzen nach außen hin blendende
Gewinne vortäuschen konnte. Das bot gleichzeitig die Möglichkeit, sich vor den
Kameras als die größten Wirtschaftsführer aller Zeiten zu profilieren und
geschickt vom kontinuierlichen Abbau der Arbeitsplätze abzulenken.
Aleen
musste sich eingestehen, seit ihrem Studium, das mittlerweile über zehn Jahre
zurücklag, auch nur Unternehmen kennengelernt zu haben, die des kurzfristigen
Gewinns wegen Löhne und Gehälter rigoros reduzierten und das Betriebsklima
irreparabel zerstörten.
Nachhaltige
Entscheidungen, die über die nächste Dividendenausschüttung hinausreichten, gab
es längst nicht mehr. Zweimal schon hatte sie hautnah mitbekommen, wie
Geschäftsführer mit schwindelerregenden Abfindungen das Weite suchten, nachdem
ein einst florierender Betrieb ruiniert und finanziell ausgesaugt worden war.
Aleen musste an das Klischee von den gefräßigen Heuschrecken denken, die
überall, wo sie einfielen, eine verwüstete Landschaft hinterließen.
Deutschlands ökonomische Landschaften sahen längst danach aus.
Sie
hatte sich fest vorgenommen, nicht zu dieser Sorte der rücksichtslosen
Wirtschaftsführer gehören zu wollen. Sie fühlte sich dem allen nicht mehr
gewachsen. Denn je mehr Einblicke sie in diese brutale Welt des unerbittlichen
Stechens und Kämpfens gewann, desto größer wurde ihr Drang, diesem unmenschlichen
System den Rücken zu kehren. Mit jedem Tag ihres Lebens wurde ihr mehr bewusst,
dass die Entscheidung für diesen Job falsch gewesen war – mochte
er ihr bisher noch so viele Erfolge und große Sprünge auf der Karriereleiter
beschert haben. Noch war sie nicht zu alt, um auszusteigen.
Sie
würde es tun. Ganz bestimmt. Der Anfang war schon gemacht. Sie würde sich
radikal ändern. »Mich kotzt das an«, konnte sie gelegentlich sagen, wenn sie im
kleinen Kreise erklärte, weshalb sie genug davon hatte. Ihr lief diese Art des
Geschäftslebens zuwider. Denn wer tagaus, tagein sein ganzes Sinnen und
Trachten nur auf Wachstum um jeden Preis fixierte, wer mit allen hinterhältigen
Mitteln die Konkurrenz ausschalten musste und wer in den Mitarbeitern nur
folgsame Idioten sah, die man nach Belieben hin- und herschieben oder zum
Teufel jagen konnte, verlor im Laufe seines Berufslebens jeglichen Respekt vor
anderen Menschen und der Menschlichkeit. Solche Typen führten Krieg,
platzierten ihre Geschosse in Form von ruinösen Angeboten und setzten, wenns
dem eigenen Fortkommen diente, ältere Mitarbeiter kurzerhand vor die Tür. Diese
waren eh nur ein ungeliebter Kostenfaktor.
Nein,
sie wollte nicht länger Teil dieses unwürdigen und üblen Kriegsspiels sein.
Dass sie diese Erkenntnis gewonnen hatte, verdankte sie den Visionen, die sich
ihrer in schlaflosen Nächten regelmäßig bemächtigten. Vielleicht waren es
Stress oder seelische Erschöpfungszustände, die dieses Phänomen auslösten. Aber
oft schon hatte sie den Eindruck, nachts von etwas Undefinierbarem umgeben zu
sein, obwohl sie seit der Trennung von ihrem Mann die Villa am Göppinger
Stadtrand ganz allein bewohnte. Sie spürte Kräfte und Energien, körperlose
Gestalten und bisweilen glaubte sie sogar Stimmen zu hören, die ihr empfahlen, aus
allem auszubrechen und sich Wichtigerem zuzuwenden.
Sie
hatte sich völlig zurückgezogen und ihre Nächte damit verbracht, im Internet zu
surfen. Zum ersten Mal war ihr damals, vor nunmehr zwei Jahren, bewusst
geworden, wie viel Halt, aber auch Trost und Zuversicht die virtuelle Welt
bieten konnte, obwohl sie nur aus einem seelenlosen Netzwerk elektronischer
Apparate bestand. Wie viele Menschen mochten Nacht für Nacht voller Hoffnung an
ihren Laptops sitzen und in diesem anonymen Parallel-Universum ein bisschen
Glück suchen?
Sie
hatte in Facebook die Profile unzähliger Menschen gelesen, sich auch mal mit
Fantasienamen in Chatrooms eingeloggt und war schließlich über Google auf einen
sogenannten Blog gestoßen, in dem heftig über Gott und die Welt diskutiert wurde – vor
allem aber über ein Thema, das sie nicht mehr los ließ, seit sie den ersten
zaghaften Schritt in ein neues Leben getan hatte: Das Ende der Zeit.
Natürlich
war das Humbug, hämmerte es in ihrem Kopf, in dem die anstudierte Vernunft noch
immer die Oberhand behielt. Wie oft schon war der Weltuntergang prophezeit
worden? Von Sekten, von religiösen Fanatikern,
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