Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
Totschlag zuständig,
war ziemlich verärgert. Keinen Ton hatte die Polizeidirektion Göppingen bisher
vom Mord an einer Bürgerin des Landkreises verlautbart – und
dies nur, wie Pressesprecher Rudi Lauer versicherte, weil sie nicht die
»federführende Dienststelle« seien. Im Übrigen habe auch der zuständige
Leitende Oberstaatsanwalt in Ulm keine Veranlassung gesehen, eine
Pressemitteilung zu veröffentlichen.
Sander
kannte diese Argumente zur Genüge und befürchtete, dass die geplante
Verschmelzung mehrerer Direktionen zu einem überregionalen Ulmer Präsidium
seine journalistische Arbeit nicht gerade erleichtern würde.
Eine
langjährige gute Freundin aus Drackenstein hatte ihm jetzt den Tipp gegeben,
dass eine gewisse Karin Waghäusl bereits am vergangenen Freitag in einer
Seilbahn-Gondel im Tannheimer Tal ermordet worden sei. Zumindest werde dies in
dem kleinen Dörfchen am Albtrauf gemunkelt.
Nachdem
der Polizeipressesprecher Lauer wenigstens bestätigt hatte, dass man in »so
einer Sache« den Kollegen in Österreich Amtshilfe leiste, war er erst richtig
in Fahrt gekommen. Wie immer in solchen Fällen versuchte er, einige vertrauliche
Quellen anzuzapfen, die jedoch allesamt versagten. Allerdings erfuhr Sander bei
seinen unzähligen, hektisch geführten Telefonaten, dass sich Häberle momentan
in Österreich aufhalte.
Das
klang nicht gerade nach einem gewöhnlichen Mordfall. Sanders Kollegen in der
Redaktion, die mit gespitzten Ohren seine Telefonate mitbekommen hatten,
beschlossen – ohne ihn lang zu fragen – dass
diese Geschichte morgen die Aufmacher-Story auf der ersten Lokalseite werden
musste. Sie störte es nicht, dass er bislang so gut wie keine Informationen
beschaffen konnte. Jetzt galt es, mehrere Dinge möglichst gleichzeitig in die
Wege zu leiten: Einen Gesprächspartner im Tannheimer Tal suchen, vielleicht
einen Kollegen der dort erscheinenden Tageszeitung – und
sich in Drackenstein, dem Wohnort der Karin Waghäusl, umhören.
Sander
entschied, zunächst den Bürgermeister von Drackenstein anzurufen. Der gerade
mal 420 Einwohner zählende Ort hatte über alle Verwaltungsreformen hinweg seine
Selbstständigkeit bewahrt, musste sich aber den Bürgermeister mit der im Tal
gelegenen Mini-Kleinstadt Wiesensteig teilen. Der jedoch zeigte sich
zugeknöpft, verwies auf Datenschutz und seine Verschwiegenheitspflicht und
betonte, dass er im Übrigen von nichts etwas wisse.
Wenig
später waren Sander und sein Fotografen-Kollege Markus Homsheimer unterwegs
nach Drackenstein, das aus einem oberen und einem unteren Ortsteil bestand.
Karin Waghäusl, so hatte Sander von seiner langjährigen guten Freundin
erfahren, wohnte in einem sonnigen Wohngebiet in Oberdrackenstein. Homsheimer,
der bei den Dienstfahrten gern selbst am Steuer saß und dafür bekannt war,
schneller als alle anderen ans Ziel zu gelangen, kannte auch den kürzesten Weg,
der sie über die weite Hochfläche und auf eine kleine Gemeindeverbindungsstraße
führte. Homsheimer holte aus dem weiß-blau bemalten Twingo alles heraus, was
der PS-schwache Motor in seinen Grenzbereichen hergab, und reduzierte das Tempo
auch nicht, als sie sich einem entgegenkommenden Traktor näherten. Die Enge des
Asphaltbandes, so erkannte Sander mit großer Sorge, würde keinen Platz für
beide Fahrzeuge bieten. Der Lokaljournalist klammerte sich mit der rechten Hand
an den Haltegriff über der Tür. Noch immer hielt Homsheimer entschieden auf den
Traktor zu, als wolle er den Kampf mit dem Landwirt aufnehmen und sehen, wer
die besseren Nerven hatte. Der Landwirt jedenfalls, so schoss es Sander durch
den Kopf, hatte zumindest das stärkere Gefährt zur Verfügung.
Endlich.
Der Traktor wich seitlich auf den Grünstreifen aus, Homsheimer tat dies mit
einer kurzen Lenkradbewegung kurz vor der drohenden Kollision ebenfalls, und
ließ die rechten Räder des leichten Twingos über den Grünstreifen brettern.
Kies spritzte, der Traktorfahrer hupte. Vorbei.
Sander
sah vorsichtig zu Homsheimer hinüber, der das jugendliche Alter auch schon
überschritten hatte, jedoch, der Fahrweise nach zu urteilen, ziemlich forsch
geblieben war. Seine Hände umklammerten das Lenkrad, als gehörten sie einem
Formel-1-Piloten. Dass es dieselben Hände waren, mit denen Homsheimer begnadet
Klavier und Orgel spielen konnte, löste in Sander, wenn er daran dachte, stets
aufs Neue allergrößte Bewunderung aus. Überdies war Homsheimer ein ebenso
virtuoser Sänger in renommierten
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