Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
Angst.
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Nachdem
Grantner gegangen war, hatte Häberle erleichtert festgestellt, dass die
Schranke des Campingplatzes noch offen war. Er verstaute das Stromkabel und
räumte im Innenraum sämtliche Utensilien fahrbereit weg. Knapp zehn Minuten
später hatte das Wohnmobil den Campingplatz verlassen. Häberle nahm sich vor,
morgen Vormittag gleich anzurufen, um die Kosten für die drei Tage zu
begleichen. Er beschleunigte den Wagen auf der Straße in Richtung Tannheim und
bedauerte es insgeheim, den Aufenthalt in diesem schönen Tal so schnell
abbrechen zu müssen. Über Oberjoch gelangte er zur A7 bei Oy, die er nördlich
von Kempten, bei Dietmannsried, bereits wieder verließ, um Leutkirch und Bad
Wurzach anzusteuern.
Mit Grantner hatte er verabredet, dass sie sich nach
Klärung des Falles noch einmal treffen würden. Dem österreichischen Chefinspektor
war eine gewisse Erleichterung anzumerken gewesen, dass Häberle den oder die
Täter nicht mehr in der Alpenrepublik vermutete. »Um ehrlich zu sein, August«,
hatte Grantner zum Abschied gesagt, »irgendwie wär ich froh, wenn’s deine
Landsleut g’wesen wär’n, die hier gemordet hab’n. Dann bleibt den friedlichen
Menschen hier ein schlechter Ruf erspart.«
Häberle hatte nur geantwortet: »Das Böse ist leider
überall. Und seit alles globalisiert ist und die Menschen überall ihre Werte
über Bord werfen, weil sie meinen, es sei modern, die guten Sitten ihrer Väter
infrage zu stellen, wird auch das letzte Stückchen friedliche Erde vollends
verkommen.«
»Wahrscheinlich hast recht«, hatte Grantner ihm auf die
Schulter geklopft. »Wir g’hör’n halt einer Generation an, die diesen
kontinuierlichen Abstieg bemerkt. Solang nur noch der Profit zählt, wird sich
nichts zum Guten wenden.«
Genau
darüber wollte sich Häberle mit seinem Kollegen mal ausgiebig unterhalten.
Jetzt aber musste er sich auf die Ereignisse konzentrieren, die sich dramatisch
zuzuspitzen drohten. Wenn nun auch noch der Professorin etwas zugestoßen war,
musste damit gerechnet werden, dass sie es tatsächlich mit einem Psychopathen
zu tun hatten, der vor weiteren Morden nicht zurückschreckte. Immerhin deuteten
allein schon die verteilten Posaunen darauf hin, dass er – oder
sie – mit diesem Vorgehen so etwas wie einen persönlichen Triumph
ausspielen wollte.
Häberle
bemerkte, dass er die Kurven viel zu schnell nahm und sich auch innerorts nicht
an das Tempolimit hielt. Noch ehe er vor Bad Waldsee den Fundort des Wohnmobils
erreichte, schreckte ihn der elektronische Ton seines Handys auf, das er auf
dem Beifahrersitz liegen hatte. Entgegen der Vorschrift griff er während der
Fahrt danach und meldete sich. Es war wieder Specki, der noch zu später Stunde
in der Dienststelle saß. »Bist du wach?«, erkundigte sich der Kollege.
»Was
für eine Frage«, entrüstete sich Häberle gekünstelt. »Ich bin ja nicht im
Urlaub – sondern unterwegs zu diesem Wohnmobil.«
»Dann
fahr gleich weiter bis Bad Waldsee«, kam es zurück. »Dort hat man die Frau
Platterstein gefunden.«
Häberle
nahm instinktiv den Fuß vom Gaspedal. Er konnte sich nicht mehr auf den
Straßenverlauf konzentrieren. »Gefunden? Was heißt das?«, fragte er aufgewühlt
zurück.
»Tot«,
sagte Specki knapp. »Tot im Moor. Im Steinacher Ried.«
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Professor
Dr. Walter Siegler hatte während des Essens häufig auf die Armbanduhr
geschielt. Dass die Dozentin, mit der er verabredet war, nicht kam, schien ihn
zu beunruhigen, auch wenn er seine Anspannung durch die eine oder andere
ironisch-bissige Bemerkung zu überspielen versuchte. Jetzt, nachdem sie alle
drei gespeist hatten, holte er sein Smartphone aus dem Jackett. »Ich muss
wissen, was mit ihr los ist«, sagte er und drückte einige Tasten. Linkohr und
Nena sahen sich gespannt an, während die Bedienung damit begann, Geschirr und
Besteck abzuräumen. Nach einer halben Minute des Wartens nahm Linkohr eine
Stimme aus dem Gerät wahr, ohne jedoch etwas zu verstehen. »Hallo«, sagte
Siegler so laut, dass einige Gäste im Lokal auf ihn aufmerksam wurden. »Wer ist
dort?« Er lauschte angestrengt, um dann irritiert nachzufragen: »Wieso denn
Polizei? Ich hab die Nummer von Frau Platterstein gewählt. Vielleicht habe ich
mich verwählt?« Seine Gesichtszüge wurden ernst. »Wer ich bin? Mein Name ist
Walter Siegler.« Er nahm Blickkontakt zu Linkohr auf und entschied: »Ich sitze
gerade mit einem Kollegen von Ihnen zusammen. Am besten, ich geb den
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