Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
Geräusche zu verursachen. Jetzt
erwies es sich als Vorteil, kürzlich hier den Vortrag des Hochschulprofessors
besucht und diese Veranstaltung dazu genutzt zu haben, die Örtlichkeiten
unauffällig auszuspähen. Es ging ein paar Steinstufen abwärts, dann rechts
hinüber, vorbei an dem verliesartigen Schacht zu der weiter nach unten
führenden Treppe. Der Lichtstrahl wanderte an den wackligen Klappstühlen
entlang, traf kurz den gusseisernen Ofen, einige alte Laternen mit abgebrannten
Kerzen und ein Trockengesteck. Dann verlor sich der LED-Strahl wie ein Irrlicht
im schwarzen Schlund des Abgangs zum tiefer gelegenen zweiten Gewölbekeller,
der in dieser undurchdringlichen Finsternis wie ein schwarzes Loch alles
aufzusaugen schien, was sich ihm näherte. Als ginge es geradewegs in die Hölle.
Mit
jedem Schritt nach unten wurde die Luft kühler, feuchter und modriger. Noch
während die eindringende Person ein kurzer Schauer überfiel, weil der Geruch an
Gruften und Gräber erinnerte, zerriss ein metallenes Scheppern die Stille. Die
schwarze Gestalt verharrte in der Bewegung, weil das Geräusch augenblicklich einen
heftigen Adrenalinstoß ausgelöst hatte. Der Puls raste, der Blutdruck stieg.
Doch zwei Sekunden später hatte die Vernunft wieder alle Systeme des Körpers im
Griff. Die mitgeführte Stofftasche, in der sich die schweren Werkzeuge
befanden, war durch eine kurze Unachtsamkeit gegen die raue Wand gestoßen. Es
hatte zwar einen lauten Schlag gegeben, aber er war gewiss nicht durch mehrere
Etagen bis zur Wohnung der Blumenhändlerin zu hören gewesen.
Schritt
für Schritt stieg die Gestalt weiter nach unten. Heute Nacht würde es Klarheit
geben. Endlich. Jetzt oder nie. In den vergangenen Wochen und Tagen war so viel
geschehen, dass es keinen Aufschub mehr geben durfte.
102
Häberle hatte sich übers Handy
den Weg zu einem Treffpunkt am Ortsrand von Bad Waldsee erklären lassen. Dort
war er in einen Streifenwagen umgestiegen, um sich über Feld- und Forstwege zu
der Fundstelle der Leiche bringen zu lassen. Blaulichter zuckten gespenstisch
durch den Birkenbestand, Halogenscheinwerfer hüllten den Uferbereich des Tümpels
in grelles Licht, das sich in der schwarzen Wasserfläche spiegelte.
Feuerwehrfahrzeuge standen auf jenen Bereichen, die tragfähig genug waren. Über
eine waagrecht übers Wasser ausgefahrene Drehleiter konnten sich Einsatzkräfte
und Kriminalisten trockenen Fußes dem Fundort nähern. »Der Täter muss irgendwo
hierher gefahren sein«, erklärte der Einsatzleiter der Ravensburger
Polizeidirektion. Häberle sah sich um und meinte resignierend: »Nach diesem
Großeinsatz werden wir kaum noch relevante Reifenspuren sichern können.«
Der
Kollege fühlte sich angegriffen. »Wir können niemandem einen Vorwurf machen.
Gemeldet wurde eine leblose Person. Sie wissen selbst, was dann los ist.«
»Versteh
ich doch«, verhielt sich Häberle loyal und blickte über das hell erleuchtete,
mit frischem Grün überzogene morastige Gelände, über das eine frische Brise
strich. Es war ziemlich kühl geworden.
»Der
Mediziner meint – natürlich vorbehaltlich einer Obduktion – es
gebe Spuren am Hals, die auf ein Erdrosseln hindeuten. Der Tod dürfte erst vor
wenigen Stunden eingetreten sein.«
»Dass
es diese Frau Platterstein ist – daran besteht kein Zweifel?«,
fragte Häberle, während ihn ein Schwall Dieselabgase einhüllte, der aus einem
Aggregat der Feuerwehr herrührte.
»Sie
trug eine Jacke, in der ein Mäppchen mit Führerschein und Ausweis steckte«,
antwortete der Ravensburger Einsatzleiter. »Außerdem«, er deutete auf einen
näher kommenden Mann in Zivil, »hat unsere Kripo die Ermittlungen aufgenommen.
Das hier ist der Leiter des zuständigen Dezernats, Kriminaloberrat Henry
Wolpert.«
Häberle
stellte sich vor und schüttelte dem groß gewachsenen, schlanken Mann die Hand.
»Wir haben bereits am Stadtrand eine Lautsprecherdurchsage veranlasst«,
erklärte der Kriminalist, der deutlich jünger war als Häberle, jedoch dem
höheren Dienst angehörte und deshalb in der strengen Hierarchie der Polizei
über ihm stand. »Es hat sich eine Zeugin gemeldet, die eine größere Limousine
gesehen haben will«, fuhr der Beamte fort. »So gegen 18 Uhr. Sie hat gemeint,
es sei ein Förster gewesen oder jemand, der rüber zum Gasthaus Rothaus wollte.«
Er machte eine Kopfbewegung in Richtung Hochwald. »Liegt da drüben und ist über
Fahrwege zu erreichen, die von hier aus aber gesperrt
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