Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
hat.«
»Nur
weil ich ihn – nachdem Sie mir am Telefon den Grund ihres Kommens genannt haben – über
Herrn Mullinger ausgefragt habe. Außerdem liegt dieser Vorfall, wie Sie das
nennen, erst sechs Tage zurück. Es war vorigen Samstag.«
»Sie
waren aber nicht bei der Party?«
»Nein.«
Wieder hob er seinen Zeigefinger. »Man sollte ab einem bestimmten Alter sein
Gehörorgan nicht mehr Geräuschen aussetzen, von denen andere irrtümlich meinen,
dieses Sammelsurium von Disharmonien, Schlaginstrumenten und unartikulierten Schreien
sei Musik.«
Häberle
verstand.
»Ich«,
fuhr der Hochschulchef selbstironisch fort, »hab mich an diesem Samstagabend
ganz anderen, weil global orientierten, ja existenziellen Dingen hingegeben.«
»So?«
Sieglers
rundes Gesicht strahlte. »Dem Weltuntergang.« Er wartete auf Häberles Erstaunen
und fügte dann breit grinsend an: »Bei diesem Thema brauchts einen, der das
nicht so ernst nimmt.« Er räusperte sich. »Außerdem war Frau Platterstein, so
heißt die besagte Kollegin, auch noch kurz bei mir gewesen.« Es klang stolz.
»Bei meinem Vortrag. Erst danach ist sie zu dieser Party gegangen.« Siegler
zögerte. »Frau Platterstein ist sozusagen schuld daran, dass ich die Ehre
hatte, in diesem Kellergewölbe über das Ende der Welt zu philosophieren.«
»So?«,
wunderte sich Häberle. »Wie darf ich das verstehen?«
»Frau
Platterstein ist dafür bekannt, dass sie sich kulturell engagiert. Und
irgendwie – ich weiß nicht, über welche Ecken herum – wollten die neuen Besitzer dieses Gewölbekellers zur Eröffnung ihres
Blumenladens einen adäquaten Vortrag haben. Passend zu diesem finsteren Loch
dort.« Er verzog sein Gesicht wieder zu einem spitzbübischen Lächeln.
»Wahrscheinlich pass ich am besten dazu. Sie haben mich über Frau Platterstein
gebeten, den Mayakalender und den Weltuntergang zu thematisieren.«
»Aber
dass dieser Student Mullinger solchen Dingen auch aufgeschlossen
gegenübersteht, wussten Sie nicht?«
Siegler
wurde augenblicklich ernst. »Ich glaube, Sie sollten jetzt nicht damit
beginnen, eine Verschwörungstheorie zu entwickeln. Die Veranstaltung in diesem
Keller hatte auch nichts mit der Hochschule zu tun.« Er sah den Kommissar
strafend an. »Darauf muss ich allergrößten Wert legen.«
37
Linkohr hatte mit sich
gerungen, ob er nach dem Wochenende den Personalchef des Göppinger Großkonzerns
›Gruber-Group‹ anrufen sollte. Doch nachdem er herausgefunden hatte, dass Aleen
Dobler-Maifeld, um die es ging, dort der Financial-Executive-Chief war, hielt
er ein solches Vorgehen für zwecklos. Zwar ließ er sich dank Häberles
langjähriger Schule von derlei wahnwitzigen Fantasie-Titeln nicht mehr
beeindrucken oder gar abschrecken. Aber vermutlich wäre niemand in diesem
Unternehmen bereit gewesen, über eine Dame in dieser gehobenen Stellung
Auskunft zu geben. In der Regel stand auf das Ausplaudern betriebsinterner
Angelegenheiten in hierarchisch straff organisierten Betrieben ohnehin die
Todesstrafe, hatte Häberle einmal ironisch bemerkt.
Dabei gab es in solchen Großkonzernen mehr Gerüchte,
Intrigen und Hahnenkämpfe als anderswo. Jeder setzte alle Mittel ein, um zum
Alpha-Tier aufzusteigen – koste es, was es wolle. Da wurde alles
geopfert, was dem eigenen Vorankommen hinderlich war: Menschlichkeit, Anstand,
soziales Benehmen, ein gutes Betriebsklima und Ehrlichkeit. Fachwissen spielte
ohnehin nur noch eine untergeordnete Rolle – und die Erfahrung älterer Mitarbeiter erst recht nicht.
Linkohr
wusste aus mehreren Gesprächen, die er bei anderen vergleichbaren Firmen
geführt hatte, wie in den unsäglichen Konferenzen, mit denen überall in der
Republik täglich Zeit verplempert wurde, ein riesiges Schachspiel ablief, bei
dem die vermeintlichen Könige am Tisch nur ein Ziel kannten: Bauern zu opfern
und den Gegner mattzusetzen, um selbst das Feld zu beherrschen. Linkohr musste
an Worte Häberles denken: »Wenn ein Mensch zu viel Macht hat, wird er zur
Bestie.« Glücklicherweise gelang es in der demokratischen Politik meist noch
rechtzeitig, solche Typen zu bändigen. In der freien Wirtschaft jedoch, so
hatte Häberle schon oft geklagt, wimmle es hingegen von frei laufenden Bestien,
die alles zerfleischten, was sich ihnen in den Weg stellte. Und ausgerechnet
die Wirtschaft hatte in diesem Lande das Regieren übernommen.
Daran
musste der junge Kriminalist denken, als er jetzt in das sonnenbegünstigte
Wohngebiet am leichten Südhang
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