Grave Mercy Die Novizin des Todes
sind hier fertig.«
»Wir sind nicht fertig, Duval!«, sagt Marschall Rieux ärgerlich.
»Ich bin fertig«, gibt Duval zurück, dann umfasst er meinen Ellbogen mit eisernem Griff und geleitet mich aus dem Raum. Als wir allein im Flur sind, bewege ich den Ellbogen. Er entspannt sofort seinen Griff und brummt eine Entschuldigung. Den Rest des Weges zum Kerker gehen wir schweigend nebeneinanderher, und das Zucken unter Duvals linkem Auge verbietet jedwede Fragen. Vor einer Reihe von Zellen steht ein einsamer Wachposten. »Wo ist der Leichnam?«, fragt Duval.
Der Mann zeigt auf eine Zelle. »Dort drin, gnädiger Herr.«
Duval führt mich hinein. Wenn der Wachposten das seltsam findet, ist er klug genug, es für sich zu behalten.
Der Leichnam des Teufelsknechtes ist auf den Boden gelegt worden, und jemand hat den Armbrustbolzen aus seinem Hals gezogen. Niemand ist auf die Idee gekommen, ihm die hässliche rotschwarze Maske abzunehmen. Ich knie mich auf den harten Steinboden und ziehe sie ihm sanft vom Gesicht. Was mich am meisten verblüfft, ist das gewöhnliche Aussehen des Mannes. Er ist weder hübsch noch hässlich, sieht weder aus wie ein Mann von edler Geburt noch wie einer aus dem Bauernvolk. Es ist, als sei er eine leere Leinwand, die auf einen Künstler und seine Farben wartet, damit sie sie zum Leben erwecken.
Duval tritt neben mich und starrt auf den Leichnam hinab. »Kennt Ihr ihn?«
»Nein, gnädiger Herr. Ich habe ihn noch nie gesehen.«
Duval runzelt die Stirn, während er darüber nachgrübelt. »Woher ist er gekommen?«
»Ich werde mein Bestes tun, es herauszufinden.«
Er braucht einen Moment, um zu begreifen, was ich vorhabe. »Wollt Ihr das wirklich? Bei jemandem, der so gefährlich ist?«
Obwohl seine Sorge mich freut, zucke ich die Achseln und schütze eine Zuversicht vor, die ich nicht empfinde. »Jeder könnte ihn geschickt haben. Wir sind der Lösung, wer etwas gegen die Herzogin im Schilde führt, nicht näher, als wir es vor einer Woche waren. Was können wir sonst tun? Außerdem ist er jetzt tot, welche Gefahr kann er da bedeuten?«
»Trotzdem«, sagt er mit grimmiger Miene. »Ihr werdet vorsichtig sein, Ismae.«
»Immer, gnädiger Herr.« Ich schenke ihm ein beruhigendes Lächeln, dann wende ich mich wieder dem Toten zu. Ich schließe die Augen, hole tief Luft und hebe dann langsam den Schleier zwischen Leben und Tod. Zuerst ist da nichts, also trete ich weiter in den Raum des Todes hinein. Trotzdem ist da nichts als ein großer schwarzer Abgrund, und ich begreife, dass der Meuchelmörder keine Seele hat, mit der ich mich in Verbindung setzen könnte – ich spüre nur eine klaffende Leere. Ist das der Preis für jene, die ohne Mortains Segen handeln? Dass man ihnen den göttlichen Funken nimmt?
Ich spüre ein langsames Ziehen tief aus der Leere. Zu meinem Entsetzen greift die Dunkelheit nach mir, umarmt mich und zieht mich in ihr Nichts hinein. Ich strenge mich an, mich ihr zu widersetzen, aber ihr Griff ist fest, unnachgiebig. Es ist wie das Hereinbrechen von Nacht, nur dunkler, schwärzer, absoluter. Und so überaus beängstigend. Geradeso wie die Haut auf dem Eis eines Teiches kleben bleibt, so bleibt meine Seele an der eisigen Leere kleben. Im Nu zerstreut sich die normale Kühle des Todes, und an ihrer Stelle spüre ich Taubheit. Leere.
Hände sind auf meinem Gesicht und schlagen mir sanft auf die Wangen, und eine Stimme murmelt. Ich spüre, wie ein schwaches Rinnsal von Wärme beginnt, in meinen Körper vorzudringen. Mit ungeheurer Anstrengung öffne ich die Augen.
Duval kniet neben mir, seine Augen wild von Sorge. Ich zittere unkontrolliert. »Gelobt sei Gott!«, sagt er, dann zieht er mich in die Arme und drückt mich fest an seine Brust.
Sein Herz hämmert heftig gegen meine Rippen, und es schlägt fast so schnell wie mein eigenes. Wärme fließt von seinem Körper in meinen.
»Ihr habt wieder Farbe im Gesicht«, murmelt er. Tatsächlich kann ich wieder spüren, wie das Blut unter meiner Haut pulsiert. Er legt mir eine Hand auf die Wange und dreht mein Gesicht zu seinem, dann sieht er mich forschend an, um sich davon zu überzeugen, dass es mir gutgeht.
Ich schenke ihm ein beruhigendes Lächeln, das nichts dazu beiträgt, mein eigenes Grauen zu lindern. Ich habe jetzt mein Schicksal gesehen und weiß genau, was mit mir geschehen wird, wenn ich aus Mortains Gnade hinaustrete.
Die Flure sind verlassen, als Duval mich zu seinen Räumen geleitet; alle Gäste sind in
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