Grave Mercy Die Novizin des Todes
sind das, was ich erwarte; Korrespondenz mit den Baronen, Karten der Bretagne und Frankreichs, alles, was ein Kanzler für die Erfüllung seiner Pflichten braucht. Ich öffne den Schrank, der hinter seinem Schreibtisch steht, und stöbere schnell in den Seiten der Bücher dort, aber keines davon enthält versteckte Briefe oder ausgehöhlte Fächer. Es findet sich auch keinerlei kompromittierende Korrespondenz in die übrigen Karten eingerollt. Es würde helfen, wenn ich wüsste, wonach ich suche.
Frustriert wende ich mich wieder seinem Schreibtisch zu, und mein Blick landet auf seiner Schreibschatulle. Als ich versuche, sie zu öffnen, stelle ich fest, dass sie verschlossen ist. Warum sollte er seine Schreibutensilien einschließen?
Mein Puls beschleunigt sich, als ich abermals meinen Dolch hervornehme und das Schloss öffne. Dieses ist kleiner – und kunstvoller – als das Schloss der Tür, aber am Ende gibt es nach. Ich öffne den Holzdeckel und spähe hinein. Schreibfedern, Tintenfässer, ein kleines Rasiermesser, rotes Siegelwachs, ein schwerer goldener Siegelring …
Ich greife nach dem Ring und untersuche ihn eingehend. Crunard trägt so viele Ringe, warum sollte er diesen einschließen? Etwas daran lässt mir keine Ruhe. Ich brauche einige Sekunden, um es zu erkennen.
Es ist genau der Ring, den ich gesehen habe, als Martels Seele durch mich hindurchging. Und das bedeutet … Was?
Dass der französische Spion Martel Crunards Ring gesehen hat, sei es am Finger des Kanzlers, als sie sich von Angesicht zu Angesicht trafen, oder durch einen rangniederen Höfling zu ihm geschickt. Wenn der Ring als Zeichen verschickt wurde, dann wusste Martel, dass er Crunard vertrauen konnte.
Es ist nicht Duval, der mit dem französischen Regenten zusammengearbeitet hat, sondern Crunard. Ich schließe die Hand um den schweren Goldring und koste das greifbare Gefühl von handfesten Beweisen in meinen Fingern aus. Aber die Einzige, die diesem Beweis Gewicht beimessen würde, ist die Äbtissin, und selbst das ist zweifelhaft. Keines der übrigen Mitglieder des Kronrates wird verstehen, woher ich das weiß; sie werden meinem Wort nicht mehr Glauben schenken als dem Crunards.
Trotzdem lasse ich den Ring in meine Tasche gleiten. Gewiss ist ein dürftiger Beweis besser als überhaupt keiner.
Weil ich für die Versammlung des Kronrates spät dran bin, muss ich ein Stirnrunzeln der Missbilligung von Crunard ertragen, aber ich schenke ihm ein kühles Lächeln. Jetzt, da ich weiß, dass er ein Verräter ist, kümmert es mich nicht, was er von mir denkt.
Weder Dunois noch Crunard haben in der Nacht ihre Meinung geändert. Während sie der Herzogin ihre Argumente vorlegen, mustere ich Crunard eingehend, auf der Suche nach irgendeiner Spur von einem Todesmal, aber sein verdammter Pelzkragen reicht ihm bis zu den Ohren und verbirgt jedes Zeichen, das er vielleicht trägt.
»Welchen Rat habt Ihr heute Morgen für uns, Demoiselle?«
Ich blinzele und stelle fest, dass die Herzogin mich höflich ansieht. Crunard tut das Gleiche; er beobachtet mich mit seinen kalten blauen Augen, und ich begreife, dass ich dieses Spiel sehr vorsichtig spielen muss. »Wäre es nicht besser, die Zeit zu nutzen, bevor alle unsere Feinde über uns kommen, um Euch an einen sichereren Ort zu bringen? Nach Rennes vielleicht? Die Menschen dort sind loyal. Sie haben eine wehrhaftere Stadtbefestigung und Truppen dafür, außerdem einen Bischof, der dafür sorgen kann, dass Ihr wohlbehalten als Herzogin gekrönt werdet.«
Crunard mustert mich mit bewusst leerer Miene. »Was bringt Euch auf die Idee, dass Rennes so überaus loyal sei, Demoiselle?« In seiner Stimme liegt ein herausfordernder Ton, und ich befürchte, dass ich zu viel gesagt oder es zu schlecht gesagt habe, dass ich ihm damit verraten habe, dass Duval bei dieser Strategie seine Hand im Spiel hat.
Ich halte seinem Blick stand. »Das Kloster hatte stets eine hohe Meinung von den Bewohnern Rennes, gnädiger Herr Kanzler.« Bitte sehr. Soll er daraus machen, was er will.
»Das ist keine schlechte Idee«, meint Hauptmann Dunois nachdenklich.
Kanzler Crunard öffnet den Mund, um Einwände zu erheben, was mir die Idee nur umso teurer macht. Aber bevor er seine Argumente vorbringen kann, klopft es an der Tür. »Ja?«, ruft er und unternimmt keinen Versuch, seinen Ärger zu verbergen. De Lornay öffnet die Tür, verneigt sich tief und tritt dann in den Raum. Alle Spuren des verführerischen Höflings sind
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