Grave Mercy Die Novizin des Todes
mich beinahe. Sein Verrat hat die Reinheit des Klosters besudelt und uns in seine weltlichen Kämpfe hineingezerrt. Er hat mich – und die Äbtissin ebenfalls – als Schachfiguren in diesen Spielen benutzt, die er spielt. Er hat Duval beinahe getötet und dessen Schwester vielleicht um ihren Thron gebracht. Und obwohl ich Mitgefühl mit seinem Sohn habe, werde ich nicht alles, was mir teuer ist, aufgeben, um ihn zu retten.
Aber obwohl ich ihn mit Mordlust im Herzen anstarre, stocke ich. Jetzt, da ich Seine Barmherzigkeit aus nächster Nähe erfahren habe, sehe ich sie in allen Dingen. Crunard hat vielen Unrecht getan, aber die Saat für seinen Verrat liegt in seiner Liebe zu seinem Sohn.
Wenn ich ihn jetzt töte, würde das eine Art Gerechtigkeit mit sich bringen, aber es würde auch dem Zorn in meinem Herzen entspringen. Und als ich über das Schlachtfeld ging, habe ich mir geschworen, dass ich nichts mehr mit Rache würde zu tun haben wollen.
Zu gleichen Teilen erfüllt mit Staunen und Abscheu begreife ich, dass ich diesen schlauen alten Fuchs nicht töten kann, wie sehr er den Tod auch verdienen mag.
Ich stoße einen ergebenen Seufzer aus und lasse den Arm mit der Armbrust sinken, dann hole ich aus und schlage ihm damit auf den Kopf. Seine Augen haben gerade genug Zeit, um Überraschung zu zeigen, bevor sie nach oben rollen und der Mann auf seinem Stuhl in sich zusammensackt.
Duval dreht sich mit undeutbarem Blick zu mir um. »Hat Euer Gott in diesem Fall Eure Hand geleitet?«
»Nein«, sage ich und schaue auf Crunards reglosen Leib hinab. »Das war meine eigene Idee. Hattet Ihr eine bessere?«
»Abgesehen von der Idee, ihm die Hände um den Hals zu legen und ihm das Leben herauszupressen, nein.«
Es folgt ein langer Moment, währenddessen ich spüre, dass er mich beobachtet, daher achte ich darauf, nicht in seine Augen zu sehen. »Diese Möglichkeit ist mir ebenfalls in den Sinn gekommen, aber wir brauchen ihn lebend, damit wir Euren Namen vor dem Rest des Rates reinwaschen können«, erkläre ich, aber ich denke nicht, dass meine Ausreden ihn täuschen.
Ich würde ihn gern verfluchen, weil er zu viel sieht, doch ich bin zu froh, dass er noch lebt.
Es ist ein Zweitagesritt nach Rennes, aber aufgrund Duvals geschwächter Verfassung brauchen wir drei dafür.
Ich bin nicht enttäuscht wegen des langsameren Tempos. Denn es ist das erste Mal, dass wir allein miteinander sind und an unser eigenes Vergnügen denken können. Sobald wir Guérande hinter uns haben, hebt sich der Nebel und die Tage sind kalt, aber hell. Mortains Sommer, nennen wir es, und ich bin davon überzeugt, dass es ein Geschenk des Gottes ist.
Die kalte, frische Luft vertreibt die letzten Reste des Giftes aus Duvals Lungen, und sein Gesundheitszustand verbessert sich schnell. Wir reden und lachen, während wir reiten; in der Tat, ich habe noch nie so viel gelacht wie in dieser Zeit. Duval zeigt mir die Besitztümer seines Vaters, und ich halte inne und danke dem Gott an jeder Steinstele, die wir passieren.
Die Nächte gehören uns. Wir sitzen vor dem Feuer, das Duval gemacht hat, nah beieinander, und wir teilen uns Wein und am Spieß geröstetes Fleisch. Wir reden über Kleinigkeiten, private Dinge. Es ist eine süße, herrliche Zeit, und ich weiß, dass sie nur allzu bald vorüber sein wird.
In unserer letzten Nacht in freier Natur ist Duval stiller als gewöhnlich. Er hat ein Band aus meinem Haar gezogen und spielt damit herum. »Was ist los?«, frage ich schließlich.
Er sieht mich an, und seine dunklen Augen reflektieren die Flammen des Feuers. »Wenn wir in Rennes ankommen, müssen wir Entscheidungen treffen.«
Ich wende den Blick ab, unglücklich darüber, dass die reale Welt uns in dieser letzten Nacht stört. »Ich weiß.« Ich greife nach einem Stock und schüre das Feuer.
»Ismae, ich würde dir die Ehe anbieten, wenn du es willst.«
Mein ganzer Körper versteift sich, schockiert über die Ehre, die er mir erweisen würde, eine Ehre, die mir vorzustellen ich nie gewagt habe.
Er lächelt. »Ich denke, dass der heilige Camulos und der heilige Mortain sich gut verstehen könnten. Sie arbeiten in der sterblichen Welt oft genug Hand in Hand.«
Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen, denn es ist so eine praktische, für Duval typische Bemerkung. »Vielleicht, gnädiger Herr. Krieg und Tod sind dafür bekannt, dass sie eng miteinander verbunden sind. Aber ich muss zuerst mit meiner Äbtissin sprechen.« Es gibt immer noch
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