Grave Mercy Die Novizin des Todes
zuckt. Er schweigt lange Sekunden, dann dreht er sich wieder zu mir um. »Also schön. Ich werde Euch von Martel erzählen, aber es geht mir dabei nur darum, Euch zu zeigen, warum Ihr Eure Hand zurückhalten müsst, bis Ihr alle Tatsachen kennt. Martel hat nicht für uns gearbeitet, nein, aber ich glaube, ich hätte ihn überreden können, mir zu verraten, wer bei Hof für den französischen Regenten arbeitet.«
Ich nippe an meinem Wein, um meine Beunruhigung zu verbergen. »Verspürt Ihr schon Gewissensbisse?«, fragt Duval.
»Nein«, lüge ich.
In der Tür ragt ein Schatten auf und lenkt meine Aufmerksamkeit von Duval ab. Der massigste Mann, den ich je gesehen habe, tritt in den Raum. Er ist einen halben Kopf größer als Duval, von der Reise schmutzig und müde und sieht aus wie ein Riese aus einem Märchen, der lebendig geworden ist. Sein Gesicht ist pockennarbig; seine Nase – mindestens zweimal gebrochen – wirkt wie ein klobiger Klumpen. Sein Haar ist kurz geschoren, und seine Augen sind nur Schlitze, als würde er ständig blinzeln.
Der eiserne Blick des Mannes wandert durch den Raum und verharrt auf Duval. Seine Augen werden noch schmaler, und er kommt in unsere Richtung. Jeder Muskel in meinem Körper spannt sich an, und meine Hand kriecht zu dem Dolch an meiner Taille. Duval bemerkt die Bewegung. Seine Augen weiten sich überrascht, dann blickt er sich um.
Wie der Blitz ist er auf den Füßen und geht mit schnellen Schritten auf den Fremden zu. Sie krachen mit der Wucht zweier aufeinanderstürzender Baumstämme gegeneinander. Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, dass ihre Rangelei eine freudige Begrüßung ist und kein Versuch, einander zu Boden zu ringen. Ich atme erleichtert aus und nehme die Hand von meinem Messer.
Als sie damit fertig sind, aufeinander einzuhämmern, bemerke ich eine kleine Gruppe von Stallburschen und Lehrjungen in der Tür, die auf den Fremden zeigen. Duval deutet mit dem Kopf in ihre Richtung, und der hünenhafte Mann verdreht gutmütig die Augen, bevor er sich umdreht und sie begrüßt. Sie lächeln und unterhalten sich aufgeregt, bis der Gastwirt sie zu ihren Pflichten zurückscheucht.
Dann zieht Duval den Fremden zu unserem Tisch herüber. Der Mann wird bei näherem Hinschauen nicht hübscher. Seine hellblauen Augen sind verblüffend in seinem narbigen Gesicht und erinnern mich an einen Wolf. Wenn ich ehrlich bin, ist er wohl der hässlichste Mann, den ich je gesehen habe.
»Ismae«, sagt Duval. »Dies ist Sire Benabic de Waroch, genannt die Bestie. Bestie, dies ist Demoiselle Rienne.«
Meine Augen weiten sich vor Überraschung, denn selbst wir im Kloster haben Geschichten über die Bestie de Waroch gehört, von seiner Wildheit und seinem Mut in der Schlacht, von seiner extremen Missachtung seines eigenen Lebens, die manche auf die Idee bringt, er sei wahnsinnig. »Seid mir gegrüßt, gnädiger Herr.«
Die Bestie de Waroch greift nach meiner Hand und umfasst sie mit einem sanften Griff, um sich dann auf höfische Weise zu verneigen. Sein geziertes Benehmen überrascht mich, da es so gar nicht zu seinem Gesicht passen will. Als er zu sprechen beginnt, ist seine Stimme tief und dröhnt wie ferner Donner. »Ich fühle mich geehrt, Eure Bekanntschaft zu machen, verehrte Dame.«
»Ich bin nicht von edler Geburt«, murmele ich verlegen.
»Jede Maid, die der Bestie begegnet, ist eine Dame, soweit es ihn betrifft«, erklärt Duval.
Die Bestie richtet sich auf und lässt meine Hand los. »Nur jene, die nicht voller Entsetzen vor mir davonlaufen«, bemerkt er mit einem Grinsen. Es soll anzüglich wirken, macht jedoch eher den Eindruck, als blecke er vor einem Angriff die Zähne. Es gefällt mir, dass er sich nicht für sein Aussehen entschuldigt, dass er Vorbehalte einfach plattwalzt. Es ist eine Haltung, die ich bewundere, und ich erwärme mich sofort für ihn.
Natürlich schadet die Anzahl an Franzosen, die er während des letzten Krieges getötet hat, seinem Ansehen auch nicht. Während des Wahnsinnigen Krieges war es seine Tapferkeit, die die Fantasie und die Herzen der Bauern entflammt und dazu bewogen hat, nach allen Waffen zu greifen, die sie finden konnten – Mistgabeln, Äxten, Schaufeln, Sicheln –, um die Franzosen aus unserem Land zu treiben. Wären nicht die mitreißende Kraft der Bestie gewesen und die Hilfe der Bauern, wären die Franzosen vielleicht immer noch hier.
»Setzt Euch, setzt Euch.« Duval drückt die Bestie auf die Bank und nimmt neben
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