Grave Mercy Die Novizin des Todes
ich hatte gedacht, dass sie alle so mit ihren Gesprächen und Sticheleien beschäftigt sind, dass sie meine Musterung nicht bemerken würden.
Duval wirft mir einen Blick zu, als wolle er zeigen, dass er meine Anwesenheit nur mit Mühe erträgt. »Verzeiht ihr, Madame. Sie wurde auf dem Land großgezogen und ist zweifellos sprachlos angesichts Eurer Schönheit und Eleganz.«
»Wie wir das alle sind«, fügt Baron Geffoy hinzu; die Ironie in Duvals Stimme ist ihm vollkommen entgangen. Baronin Katerine allerdings nicht.
»Ist sie es, die dich dazu getrieben hat, so weit weg von unserer jungen Herzogin herumzustreunen?« Madame Hivern grinst.
Duval hebt seinen Kelch und nimmt einen Schluck Wein. »Ich streune nirgendwo herum. Ich war im Auftrag der Herzogin unterwegs.«
Madame Hivern sieht mich scharf an. »Was habt Ihr noch gleich gesagt, woher Ihr kommt?«
»Sie hat gar nichts gesagt«, bemerkt Duval, und obwohl es mir nicht gefällt, dass er für mich spricht, kann ich nicht einmal so tun, als verstünde ich, was zwischen den beiden vorgeht.
»Habt Ihr Neuigkeiten über die Franzosen?«, fragt Baron Geffoy. Er ist nicht länger leutselig, sondern angespannt und schroff, und zum ersten Mal, seit ich ihn kennengelernt habe, denke ich, dass ich mich ihm nicht in einem Zweikampf entgegenstellen möchte. »Es hat Gerüchte gegeben, nach denen sie ihre Truppen im Norden zusammenziehen.«
Duval schüttelt energisch den Kopf. »Nein. Es sind keine Truppen gesichtet worden, nicht einmal Anzeichen für Spähtrupps. Eure Informationen sind falsch. Die Herzogin hat die Sache gut im Griff.«
Madame Hivern beugt sich mit funkelnden Augen vor. »Hat sie das, Gavriel? Hat sie das wirklich? Denn aus meiner Perspektive macht es nicht den Eindruck.«
Ihre Blicke treffen sich quer über den Tisch. »Das liegt daran, dass Ihr es nicht wahrhaben wollt, Madame.« Seine Worte schnellen gepresst und hart über den Tisch wie Steine von einem Katapult. »Wie immer seht Ihr genau das, was Ihr sehen wollt, und nicht mehr.« Er schaut, ohne mit der Wimper zu zucken, zum Kopfende des Tisches, wo Baron Geffoy dem Fasan auf seinem Teller große Aufmerksamkeit schenkt. Duval starrt ihn lange an, bevor er sich wieder Madame Hivern zuwendet. »Seid auf der Hut, Madame«, sagt er leise. »Politik kann viel gefährlicher sein, als Ihr ahnt.« Ich brauche einen vollen Herzschlag, um zu begreifen, dass dies kein allgemeiner Rat ist, sondern eine sehr spezielle Warnung. Aber wovor?
Auch sie ist verwirrt von seinen Worten, aber bevor sie etwas erwidern kann, wendet Duval sich mir zu. Ich schaffe es nur mit knapper Not, angesichts des siedenden Zorns in seinem Blick nicht zurückzuprallen. »Da wir beim ersten Tageslicht aufbrechen werden, wäre es klug, sich früh zurückzuziehen.« Er erhebt sich und hält mir den Arm hin, und ich stehe hastig auf, danke Baronin Katerine für ihre Gastfreundschaft und lasse mich von Duval wegführen.
Duval dirigiert mich aus dem Raum, und sein mühsam im Zaum gehaltener Zorn lässt ihn energisch ausschreiten. Ich bin beinahe außer Atem, als wir mein Zimmer erreichen. Ich setze zu einer Frage an, aber er kommt mir mit einem schroffen Gutenacht zuvor, öffnet meine Tür und stößt mich förmlich ins Zimmer, dann zieht er die Tür mit unverkennbarer Endgültigkeit wieder zu.
Ich bin allein und dankbar dafür, aber auch wütend. Es ist nicht meine Schuld, dass es zwischen ihm und Madame Hivern beinahe zu einer offenen Auseinandersetzung gekommen wäre.
Ich kann nicht einmal erahnen, was zwischen ihnen steht, welche Art von Zerwürfnis sie hatten. Es scheint mir eine viel zu erhitzte Fehde zu sein, als dass der Grund dafür Duvals Groll sein könnte, dass seine Mutter so große Zuneigung zu seinem Bruder hegt. Und was hat Geffoy damit zu tun? Denn er hat bei Tisch so schuldbewusst ausgesehen wie Annith, als sie dabei erwischt wurde, wie sie in Schwester Beatriz’ Liebesgedichten geschnüffelt hat.
Ob der Baron eine Liaison mit Madame Hivern anfangen will? Und Duval versucht, ihn davon abzubringen? De Lornay hat behauptet, Duval habe die Moral eines Mönchs, also liegt das vielleicht der Feinseligkeit zwischen ihm und seiner Mutter zugrunde: Er glaubt, dass sie viel zu früh nach dem Tod seines Vaters einen neuen Geliebten nimmt.
Meine müden Finger sind lustlos und unbeholfen, als ich mit den Bändern an meinem Mieder kämpfe. Endlich lösen sie sich, und ich kann es ausziehen. Als die kalte Nachtluft über
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