Grave Mercy Die Novizin des Todes
zum Kamin hinüber. Madame Hivern sitzt mit gesenktem Kopf da, der Inbegriff frommer Kontemplation – in der Tat, es ist dieselbe Pose, die ich im Kloster einnehme, wenn ich befürchte, dass ich dabei ertappt werde, wie ich mit Annith oder Sybella tuschele.
»Baron, ich möchte Euch meine Cousine vorstellen, Demoiselle Rienne.«
Bei dem Wort Cousine lächelt Geffoy wissend. »Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen«, sagt er. Ein lüsterner Glanz stiehlt sich in seine Augen. »Bitte, macht es Euch in meinem Heim behaglich, meine Liebe«, fährt er fort. »Werdet Ihr Euch uns zum Abendessen anschließen, Duval? Oder seid Ihr zu erschöpft von Eurer Reise?«
Duvals Blick ist immer noch aufMadame Hivern geheftet, als er antwortet. »Wir würden uns Euch gern anschließen und die Neuigkeiten vom Hof hören.« Gewiss kann die Frau spüren, dass er sie anschaut. Warum blickt sie nicht auf?
Beinahe so, als höre sie meine Gedanken, hebt sie genau in dem Moment den Kopf. Obwohl sich ihre liebreizende Miene keine Sekunde verändert, ist ihre Feinseligkeit Duval gegenüber mit Händen zu greifen.
»Hervorragend! Ich werde Euch Eure Zimmer zeigen lassen, damit Ihr Euch erfrischen könnt.« Der Baron beugt sich dicht zu Duval hinüber. »Ich werde dafür sorgen, dass Ihr und Eure Cousine angrenzende Räume bekommt, mais ou i ?«
Bei seinem boshaften Zwinkern juckt es mir in den Fingern nach meinem Dolch. Duval, der das vielleicht spürt, ergreift meinen Ellbogen und führt mich zur Treppe.
Mein Zimmer ist groß und gut ausgestattet. Ich werfe einen sehnsüchtigen Blick auf das gewaltige Himmelbett, das ich noch stundenlang nicht werde genießen können. Bedauernd stoße ich einen Seufzer aus, dann drehe ich mich um, um mich für den Abend fertig zu machen. Während ich mich auskleide, kehren meine Gedanken zu dem Unbehagen des Barons zurück, als er Duval gesehen hat, zu Madame Hiverns Feindseligkeit und Duvals eisern beherrschter Reaktion. Vielleicht werde ich heute Abend etwas Wichtiges erfahren.
Zumindest wird das Rätseln darüber, was zwischen Duval und Madame Hivern los ist, wahrscheinlich während des Abendessens ein gewisses Maß an Unterhaltung bieten. Ich kann nicht umhin, mich zu fragen, wie viel von Duvals Wunsch, in dem großen Raum zu Abend zu essen, mit ihr zu tun hat. Selbst aus der Entfernung konnte ich erkennen, dass sie sehr schön ist; ihre Haut blass, ihr Haar von der Farbe gesponnenen Goldes und ihr Gewand geschmackvoll. Die elegante Madame Hivern hat mich in jeder Hinsicht auf alle Lektionen über höfische Manieren und weibliche Reize, die ich versäumt habe, aufmerksam gemacht.
Ich sehe mein Spiegelbild in dem kleinen Oval polierten Silbers, das an der Wand hängt. Wir könnten uns nicht gravierender voneinander unterscheiden. Sie verströmt die Anmutung eines liebevoll gefertigten Kleinods. Ich dagegen bin dunkel und ernst; ein schwaches Stirnrunzeln zieht meine Brauen zusammen. Im Geiste kann ich beinahe das spöttische Gelächter hören, wenn der Baron und seine Frau von meinem Betrug erfahren. Ich werde das nicht zulassen. Ich glätte meine Stirn, was mein Aussehen ein wenig verbessert, aber nicht annähernd genug.
Ich tauche ein Leintuch in das warme Wasser – das schwach nach Rosenperlen duftet, ein wahrer Luxus – und nutze die Gelegenheit, mir Gesicht und Arme zu waschen und alle Stellen, die ich erreichen kann.
Ich reise mit nur einem einzigen Gewand, das prächtig genug für diesen Abend ist, also ziehe ich es widerstrebend an. Ich mag das Kleid noch immer nicht lieber als an dem Tag, an dem ich es das letzte Mal trug. Und obwohl ich keinen eleganten Kopfschmuck habe, wie Madame Hivern ihn trägt, habe ich doch mein Haarnetz mit den Perlen. Ich lächele bei der Erinnerung an die dunklen Fähigkeiten, die ich besitze und Madame Hivern nicht.
Während ich die letzte widerspenstige Haarlocke an ihren Platz drücke, klopft es an meiner Tür. Als ich sie öffne, steht Duval vor mir, bereit, mich zum Abendessen zu geleiten. Sein Blick erfasst mein ungemein verändertes Aussehen, geradeso wie mein Blick das seine registriert. Er hat seine lederne Reitmontur gegen ein elegantes, schwarzes Wams mit frischem, weißem Leinen am Hals eingetauscht. Ich frage mich flüchtig, ob schwarz seine Lieblingsfarbe ist. Er mustert mich eingehend, und ich gerate unter der Wärme seines Blicks ein wenig aus dem Gleichgewicht. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich meine Cousine in einem solchem Gewand
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