Grave Mercy Die Novizin des Todes
Duvals Stimme ist ohne jede Modulation. »Ich wollte Euch nicht an Euren Verlust erinnern.«
Sie wedelt mit der Hand, und ich kann nicht erkennen, ob ihr die Ironie in seinem Tonfall entgangen ist oder ob sie sich einfach entscheidet, sie zu ignorieren. »Wie auch immer, ich bin Baron und Baronin Geffoy einfach dankbar dafür, dass sie mir ihre Gastfreundschaft anbieten, weit fort von den schmerzlichen Erinnerungen an meinen lieben Françis.« Ihre Stimme zittert ein wenig, als sei sie den Tränen nah, und mich befällt das Gefühl, dass die beiden Rollen in einer Maskerade spielen.
Wie um von Madame Hiverns Kummer abzulenken, fordert Baronin Geffoy uns auf, unsere Plätze bei Tisch einzunehmen, und ich nutze den Moment, um mich zu sammeln. Nach Duvals Enthüllung fügen sich so viele kleine Details zusammen. Die Abneigung der Äbtissin und Kanzler Crunards dagegen, mich als Duvals Cousine auszugeben; die Reaktion de Lornays und der Bestie ebenfalls. In Wahrheit erröte ich bei der Erinnerung und winde mich innerlich, wenn ich bedenke, für wie dumm sie uns gehalten haben müssen. Kein Wunder, dass die Bestie dachte, ich sei von edler Geburt, denn obwohl Duval ein uneheliches Kind ist, ist er ein königliches.
Ich fühle mich gedemütigt, greife nach meinem Weinkelch und nehme einen ordentlichen Schluck, während ich mir wünsche, ich könnte meine Ignoranz hinunterspülen. Während meine Gedanken beginnen, sich zu beruhigen, wird mir das Klimpern von Kristall bewusst, der Geruch von geschmortem Fleisch und starkem Wein. Der Tisch ist beladen mit allen möglichen Speisen und Delikatessen, aber für mich sind sie so geschmacklos wie der Staub, den unsere Pferde aufgewühlt haben.
Baronin Katerine lenkt das Gespräch kunstvoll auf die Jagd und auf Turniere der jüngeren Zeit, auf Menschen und Ereignisse, mit denen ich nicht vertraut bin. Ich lasse das Gespräch an mir vorbeirauschen, bis es nicht mehr ist als das Summen von Mücken, die über einem stehenden Teich tanzen.
Ich versuche, mich an alles zu erinnern, was das Kloster uns über die französische Hure erzählt hat, denn so haben sie sie immer genannt, und das ist auch der Grund, warum ich den Namen Hivern nicht kannte. Sie wurde die Mätresse des alten französischen Königs, als sie gerade einmal vierzehn Jahre war. Nach seinem Tod wurde sie die Geliebte unseres Herzogs. Im Laufe ihrer vielen gemeinsamen Jahre hat sie ihm fünfKinder geboren: drei Söhne und zwei Töchter.
Duvals Arm liegt neben meinem auf dem Tisch, und er spielt mit seinen langen, eleganten Fingern mit dem Stiel seines Glases. Als seine Finger sich plötzlich anspannen, zwinge ich mich, mich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren, das um mich herum geführt wird.
»Das ist das vierte Turnier in diesem Jahr, das mein lieber François gewonnen hat«, sagt Madame Hivern gerade zum Baron. »Auf den Turnieren kommen ihm nur wenige gleich.«
Baron Geffoy wirft einen bewundernden Blick aufDuval. »Bis auf seinen älteren Bruder vielleicht. Wenn ich mich richtig erinnere, wurde er nie besiegt …«
»Diese Tage sind lange vorbei«, bemerkt Duval und tut den Versuch des Barons, ihm zu schmeicheln, einfach ab. Duval hebt seinen Kelch und leert ihn, und es folgt ein kurzer Moment verlegenen Schweigens. Baronin Katerine versucht, ihn zu überspielen.
»Wir hatten eine ungewöhnlich gute Jagd in diesem Jahr«, sagt sie, aber einmal mehr gibt Madame Hivern dem Gespräch eine neue Richtung und beginnt von François zu plappern und von seinem Geschick bei der Jagd und wie er bei der Jagd in der vergangenen Woche ganz allein ein Wildschwein aufgespießt hat.
Ist es das, was zwischen ihnen liegt? Zieht sie François so sehr vor, dass es Duval dazu getrieben hat, sie zu hassen? Das geschieht manchmal in Familien, vor allem in den adligen, wo Gunst gleichbedeutend mit Titeln und Gütern ist. Ich schaue Duval an, aber er blickt angelegentlich auf seinen Teller und schneidet sein Wildbret mit energischen, präzisen Bewegungen.
Ich richte meine Aufmerksamkeit auf Madame Hivern, die uns gegenübersitzt. Ihr Gewand hat die Farbe von Smaragden und ist noch tiefer ausgeschnitten als meins, sodass ihre Schultern zur Gänze entblößt sind und man die üppige Wölbung ihrer weiblichen Reize sehen kann.
»Gavriel, mein Lieber«, beginnt sie mit gedehnter Stimme zu sprechen. »Wer war noch gleich dein Mädchen, und warum starrt es mich an, als sei ich ein fünfbeiniges Kalb?«
Ich erröte heftig, denn
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